Aus dem Leben eines EVO-R

Die Zeit der langen Tagesetappen und hohen Geschwindigkeiten scheint vorbei zu sein. Heute waren wir gerade 120 km vorwärts gekommen. Auch Geschwindigkeitsangaben sucht man vergebens in den Tagebuchseiten von Dynamik. Ist vielleicht auch besser so.

Carry-le-Rouet, 26. 9. 21

Heute morgen leuchtete die Sonne durch den schmalen blauen Streifen am Horizont zwischen den rauschenden Wellen und der grau-schwarzen Wolkendecke hindurch. Im Osten - dort wo ich hinwollte - jagten Blitze auf die weite Ebene hinunter. In meinem Velomobil war's ziemlich trocken und da die Strasse zumeist gerade war, spielte es auch keine Rolle, dass ich durch die vertropfte Scheibe nicht allzuviel sah. Nach zehn Minuten war der Spuck vorbei und die Camarque zeigte sich wieder von der schönsten, allerdings etwas durchnässten Seite.

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An sich hätte man auch den direkten Weg über den Digue nehmen können, um die Fähre beim Bac de Bacarin zu erreichen. Wäre wohl 30 km kürzer gewessen. Das hatte ich vor 30 Jahren mit dem Langlieger gemacht. Doch der klebrige Lehm blockierte die Räder, sodass ich mein Liegerad tragen musste. Das wollte ich mit dem Velomobil nicht riskieren. So nahm ich den weiteren aber auch sehr schönen Weg um den Étang de Vacarès herum.

Nach der Fähre über die Rhone wird es etwas langweilig, denn ab hier fährt man endlos an Petrollagern und Hafenanlagen vorbei. Richtig schön wird es erst in Martigue. Martigue ist immer noch das alte romantische Stättchen wie vor 30 Jahren, als ich diese Strecke mit dem Longbike gefahren bin.

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Ab Martigue, wo es mittlerweile 25 Grad warm geworden ist, beginnen die wunderschönen Calanques, d.h die steilen Felsenküsten und damit auch die strapaziösen Anstiege. Zum Glück hatte ich eine bergtaugliche Kettenschaltung eingebaut. Mit 38 Z vorne und 50 Z hinten ist ja jeder Berg zu schaffen. So klettere ich gemütlich im Schritttempo die engen Kehren hoch und sause dafür umso schneller auf der anderen Seite wieder runter. In Carry-le-Rouet mit seiner wunderschönen Bucht und dazugehörigem Postkarten-Sonnenuntergang fand sich ein nettes Hotel (wo für Sportler auch die Wäsche gewaschen wird) und am Hafen unten ein Restaurant, wo sie ein ausgezeichnetes Cassolet mit Saumon servieren.

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Solche Reiseberichte entfachen blanke Sehnsucht, und dann noch das Traumfahrzeug...:love:
Wünsche noch weiterhin viel Spaß...
 
Heute hatten wir die Hauptprobe mit der Wasserkühlung für die Trommelbremsen. Fast alles lief perfekt. Es hat zwar nicht gezischt und gedampft aber unter jedem Vorderrad bildete sich ein kleiner See. Die Bremsen waren wieder kalt und DYNAMIK hatte kein Trinkwasser mehr.


Hyères, 27.9.21

Der heutige Tag war mit zahlreichen Bergetappen gespickt und dazwischen reihte sich ein Höhepunkt an den anderen. Und das alles bei schönsten Sonnenschein. Der erste Höhepunkt war der "Vieux Port" von Marseille. Es gibt wohl kaum etwas Schöneres als sich hier in einem alten, ehrwürdigen Kaffeehaus mit einem Cafė au lait und einem Croissant verwöhnen zu lassen.

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Etwas Stärkung braucht es schon für die nächste Bergettappe nach Cassis. Bei der steilen Abfahrt habe ich dann das neue Bremskühlsystem mit Wassereinspritzung ausprobiert. Funktioniert perfekt, nur hat mir nachher das Wasser zum Trinken gefehlt.

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Es folgten La Ciotat, Bandole und Toulon. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir die Route de Crète gespart habe. Die ist traumhaft schön aber für ein VM ein bisschen zu steil. Toulon ist nicht besonders aufregend, dafür haben sie jetzt einen Veloweg von Toulon bis fast nach Hyères gebaut und zwar mit recht gutem Belag.

Der letzte und schönste Höhepunkt bildete das mittelalterliche Stättchen Hyères. Sogar ein Hotel mitten in der Altstadt hatte noch ein freies Zimmer für mich. Und die Taverne Royal mit der gfürchigen Riiterrüstung serviert immer noch wunderbare Gerichte.

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Was würde DYNAMIK ohne mich machen. Nicht nur sein Vorwärtskommen, nein, auch seine - wie sagt man dem heute - sozialen Kontakte hängen von mir ab.

Cannes, 28.9.21

Es ist als seien alle Schönheiten der Natur auf diesem Küstebabschnitt zusammengenommen worden. Bereits der Blick aus meinem Hotelzimmer über die alten Dächer hinweg zur Presqu'ile de Giens hat etwas Bezauberndes.

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Zwischen Hyères und Cannes reiht sich eine Meetesbucht an die andete. Die Strecke hat nicht zuviele Steigungen aber viel Kurven, die man mit einem VM doch ein bisschen vorsichtig angehen muss.

In St. Raphael wurde ich bei heisser Schokolade mit Kuchen gleich von zwei Gästen angesprochen. Die einen hatten mich bzw. EVA in Lyon gesehen und die anderen (er mit einem Stetsonhut und sie mit einem süssen Zwerghündchen) hatten mich mit ihrem Ford Mustang schon mehrfach überholt.

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Kurz vor Cannes wird die Scenerie geradezu dramatisch mit den roten Felstürmen, die in der Abendsonne leuchteten. Hier fand ich ein schönes Hotel in dem sich auch ganz vorzüglich speisen liess.

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UN-VER-SCHÄMT. Jetzt hat bei mir der Virus auch wieder zugeschlagen.

(Viel Spass und bleib´ gesund und bruchfrei!)
 
So nahm ich den weiteren aber auch sehr schönen Weg um den Étang de Vacarès herum.
Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, dann ist der Weg schon grenzwärtig bezogen aufs velomobilfahrtechnische. Ich denke du hast dich aber auf die Landschaft bezogen und diese Ausblicke entlang des Weges, waren die wohl schönsten in der Camargue als ich dort 2019 mit meinem Quest unterwegs war. So sieht diese Gegend übrigens bei schönem Wetter im Sommer aus
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Dann bist Du also mit dem VM den Digue von Les Saintes Maries bis Bac du Bacarin gefahren? Gratuliere. Muss wunderschön gewesen sein.
Nein ich bin von St. Marie richtung Etang de Vaccares auf der Strasse gefahren. Das Bild davor zeigt den Weg um den Etang de Vaccares.
Die Rhone überquerte ich in Arles und nicht mit der Fähre, da dort auch mein Camping war
 
Velomobilfahren iat gar nicht so einfach. Vorallem wenn man - umringt von vielen interessierten Zuschauern - vergisst, dass das Fahrradschloss noch eingehängt ist. Da helfen auch all die gutgemeinten Ratschläge der Nizzianerinnen (denen man eben noch alle Vorzüge des VM erklärt hat) nichts. Ich glauber DYNAMIK hat sich ziemlich geärgart, vor allem über sich selbst. Ich sollte das eigentlich nicht ausplaudern, denn davon wird er im Tagebuch natürlich nichts schreiben.


Sanremo, 29.9.21

Nizza war eindeutig der Höhepunkt des heutigen Tages. Die vielen kleinen Gässchen, der offene Markt und der frische Wind, alles trug zu dieser unglaublich schönen Stimmung bei. Die Bewohner von Nizza sind stolz auf ihre Stadt. Eine Dame, die sich fürs Velomobil intetessierte, erzählte mir, wie senr sie Nizza liebe, dass sie hier Bücher restauriere und zum Schluss meinte sie: "Je suis Niçpise et j'ai le tempérament Niçois."

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Die Strecke ist gut zu fahren. Zumeist hat man gute Fahrradwege, die auch den Ansprüchen eines VM gerecht werden. Es hat zwar ein paar giftige Steigungen dabei, aber wie sollte man sonst schöne Fotos machen.

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Monaco wird seinem Ruf nicht gerecht. Es ist zwar monströs aber nicht wirklich ein Genuss. Gegen sechs Uhr erreichte ich Sanremo mit seinem berühmten Kasino. Den Besuch des Kasinos hab ich mir gespart, dafür in der Altstatt einen vorzüglichen Prosecco genossen.

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Velomobilfahren iat gar nicht so einfach. Vorallem wenn man - umringt von vielen interessierten Zuschauern - vergisst, dass das Fahrradschloss noch eingehängt ist.
irgendwie scheinen die schicken Flugzeugkanzeln dazu zu verführen. Oder liegts vielleicht an der Farbe? Das hab ich nämlich auch schon fertiggebracht... natürlich ebenfalls in aller interessierter Öffentlichkeit.
 
in monaco würde ich das hier besichtigen:
falls du dich für so etwas begeistern kannst. (und noch nicht weiter gezogen bist).
 
Die Übernachtung in Genua hat DYNAMIK eigentlich mir zu verdanken. Vor vier Jahren war ich - auf dem Heimweg von Palermo - mit DYNAMIK schon einmal hier. Da hat uns eine nette Dame angesprochen und gefragt, ob sie ein Bildchen von mir machen dürfe. Ihr Mann interessiere sich für solche Fahrzeuge. Kurze Zeit später taichte ein Baron Tieflieger auf und begleitete uns bis zum Passo del Turcchino. Seitdem sind Luciano und DYNAMIK immer wieder am Bilder austauschen.

Genua, 30.9.21

Auch die italienische Seite der nördlichen Mittelmeerküste ist traumhaft schön. Ein Unterschied fällt jedoch auf: die französische Seite ist vor allem für die Touristen gestaltet, während die italienische Seite auch für die lokale Bevölkerung gemacht ist. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist die hoch über dem Meer gelegene Kirche von Cerva. Das verwinkelte Örtchen und die Kirche darf man sich nicht entgehen lassen.

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Im übrigen ist die Küstenstrasse selbst die grösste Sehenswürdigkeit und die geniesst man am besten auf zwei oder drei Rädern.

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Gegen sechs Uhr erreichte ich Genua oder vielmehr einen etwas heruntergekommenen aber sehr lebhaften Aussenbezirk. Hier wurde ich von Luciano, einem lieben Freund, mit dem Scooter abgeholt und ab gings in rasendem Tempo 10 km durch den Feierabendverkehr. An den Rotlichtern war ich jeweils schneller (die gelten glaub ich für Velomobile nicht) im übrigen war Luciano mit seinem übermotorisierten Roller im Vorteil. Im Zentrum haben Luciano und Silvia (seine liebe Frau) eine wunderschöne Wohnung, wo ich den ganzen Abend verwöhnt wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Heute ging's wieder einmal so richtg bergauf. Im kleinsten Gang erkletterte DYNAMIK Kehre um Kehre bis zur Passhöhe auf 555 m. Der Tieflieger von Luciano wäre natürlich viel schneller oben gewesen, dafür hat Luciano gefroren während es bei DYNAMIK gemütlich warm war. Man kann halt nicht alles haben im Leben. Zumindest nicht alles gleichzeitig.

Mortara, 30.9.21

Sightseeing mit Liegerad und Velomobil stand heute Vormittag auf dem Programm. Dazu gehörten das Schiff von Christoph Columbus und die Piazza di Ferrari mit seinem schönen Brunnen. Gegen Mittag gings dann in Richtung Passo del Turcchino. Allerdings nicht ohne vorher einem Freund von Lucciano mit seiner schönen Bäckerei einen Besuch abzustatten. Damit wir nicht verhungern müssen, wurden wir sogleich mit Focaccia und Süssgebäck beschenkt.

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So konnten wir zuversichtlich den Pass erklimmen, wo sich - nach einem reichlichen Mittagessen - die Wege trennten. Für Luciano gings zurück nach Genua, für mich runter in die Po-Ebene. Irgendwie konnte ich die Po-Ebene, nach sovielen Kilometer Felsenküste, nicht so richtig geniessen. Dafür kommt man in der Po-Ebene schön schnell vorwärts.

Diesmal wählte ich die Route über Tortona.nach Mortara. Sie ist zwar etwas flacher als die Route über Alessandria aber eindeitig weniger schön. Alessandria sollte man auf keinen Fall auslassen.
 
Und wieder geht eine Langfahrt zu Ende. Wobei 1500 km in 10 Tagen ist ja nicht gerade eine Langfahrt. Ist nur zu hoffen, dass es das nächste Mal etwas länger wird.


Blitzingen, 1.10.21

Die Aussicht auf ein schönes Abendessen zusammen mit Karin liess mich heute morgen noch etwas stärker in die Pedalen treten. Noch waren es 150 km bis zu unserem Häuschen in Blitzingen. Die Strasse war frisch geteert (ein eher seltener Luxus), sodass ich mit 35 bis 40 km/h über die Ebene flog. Zu sehen gab es nicht allzuviel. Der Himmel war grau und die Landschaft eintönig. Weite Ebenen sollte man bei Sonnenuntergang durchfahren.

Ich wählte den Weg dem Ortasee entlang. Diese Strecke hat weniger Verkehr als die Strasse dem Langensee entlang aber sie ist auch nicht gang so grandios.

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Ab Domodossola gilt es ernst. Mit dem Velomobil muss ich die alte Simplonstrasse nehmen, die in steilen Kurven nach Varzo hinaufführt. Das hat mir vor vier Jahren ein Carabinieri erklärt und ist immer hinter mir hergefahren, damit ich ja nicht zurück auf die E 62 fahre.

In Iselle hat es diesmal mit dem Timing geklappt. Der Autozug, der mir die Passfahrt über den Simplon erspart, stand schon bereit. Und auch auf der anderen Seite wartete ein Bähnchen, das mich mühelos nach Blitzingen auf 1300 m ü M brachte. Und hier in Blitzingen wartete Karin mit einem feinen, dampfenden Abendessen.

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Die schönsten Küstenstrassen der Welt

"Die schönsten Küstenstrassen der Welt", das war das Motto der diesjährigen Langfahrt. Und es waren tatsächlich die schönsten Küstenstrassen, die Ich zwischen Les Saintes Maries und Genua gefahren bin. Dabei bin ich schon sehr viele Küstenstrassen gefahren. Es braucht für uns verwöhnte Europäer eben recht viel, bis wir hundert Prozent zufrieden sind. Auch wenn wir es nicht gerne zugeben. Da genügen überhängende Kalkfelsen oder goldene Sandstrände noch nicht. Da braucht es zuverlässig sonniges Wetter, römische Ruinen, romantische Cafes (mit zuvorkommender Bedienung) und dann noch jeden Abend ein vorzügliches Abendessen (auch mit zuvorkommender Bedienung). Und all das findet man an der Côte d'Azur und an der ligurischen Küste.

Natürlich suchen wir auch das Abenteuer. Dazu haben wir ja das Velomobil gewählt. Aber nach einem anstrengenden Tag sollte doch der Abend möglichst zivilisiert ablaufen. Ist das aber wirklich ein Abenteuer? Ich denke schon. Zumindest fühlt es sich abenteuerlich an, wenn man mit so einem minimalistischen Gefährt wie dem Velomobil, ohne genauen Reiseplan, ohne Begleitfahrzeug, nur mit etwas Werkzeig und einigen wenigen Ersatzteilen losfährt. Was könnte da nicht alles passieren?

Eigentlich kann fast nichts Schlimmes passieren. Zumindest viel weniger als bei diesen hochkomplizierten Automobilen. Beim Velomobil lässt sich fast alles unterwegs selbst reparieren. Man muss sich allerdings zu Hause etwas Zeit nehmen und möglichst alles auseinandernehmen und möglichst alles in der ursprünglichen Anordnung wieder zusammenbauen. Das gibt die nötige Sicherheit für Langfahrten.

Für die eben beendete Langfahrt habe ich acht Schläuche, zwei Mäntel, ein Carbon-Flickset und etwas Werkzeig mitgenommen. Gebraucht habe ich davon gar nichts. Nicht einmal die Pumpe. Oft scheint mir, dass es nichts zuverlässigeres gibt als ein Velomobil.

Fünf Langfahrten habe ich bis jetzt mit meinem Velomobil EVA gemacht. Und noch einige weiteren Touren auf dem Trike, dem Liegerad und dem Liegetandem. Damit alles etwas geordnet wiederzufinden ist, habe ich die Erinnerungen in Form von Reiseberichten zusammengestellt und auf einer Website veröffentlicht. Der Link lautet: https://priv.z-c.ch/~armin
 
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