Seit einigen Wochen schon spielte ich mit dem Gedanken, einmal ein bisschen weiter zu fahren als die mittlerweile üblichen 60-70 km - Runden. Ich bin nicht wirklich ein Zahlenfetischist, und es reizte mich eigentlich nicht die bisher maximal 97 Tageskilometer mit einer Zusatzschlaufe auf 100 km zu erweitern, deshalb musste es schon ein bisschen mehr sein. Ein Blick auf die Karte und ein wenig Spielerei mit BRouter liess mich schliesslich den Entscheid fällen, vom Fricktal via Jura-Täler an den Bielersee, und von dort dem Jurasüdfuss entlang wieder zurück zu fahren.
Am wahrscheinlich letzten Tag dieses Sommers an dem die Lufttemperatur 30°C erreichte (nächste Woche soll es laut Prognosen nur noch 29°C geben), packte ich es endlich an.
Im Gepäck:
Badesachen, Batterielicht, 1.8 Liter Wasser, ein paar Handvoll Studentenfutter, Fotoapparat, sowie die Klarsicht-Fahrradbrille für die Tunnelstrecken und die Dämmerung.
Da ich am Morgen noch dies und das erledigen "musste" (wollte), fuhr ich um 10:20 über eine Stunde später als eigentlich geplant los, und machte mich darauf gefasst, das Licht nicht nur in den Tunnelstrecken zu brauchen. Egal. Endlich bin ich unterwegs!
Zuerst geht es nach Liestal, und von dort Richtung Oberer Hauenstein nach Waldenburg. Das letzte Mal als ich hier war, hatte ich leider den Fotoapaprat nicht dabei, um vom malerischen Städtchen für mich ein Bild einzufangen. Deshalb holte ich dies jetzt nach:
Dann folgte eine längere aber lockere Kurbelei auf der wenig befahrenen Strasse, um am Ende wieder einmal auf der Passhöhe des Oberen Hauenstein anzukommen. Mit seinen nicht einmal 750 Metern ist er, wenn ich mich nicht irre, in dieser Region der niedrigste Pass über den Jura (niedriger wird es erst rund 10 km weiter östlich, kurz bevor man sowieso unten rum kann).
Zum ersten Mal in diesem Sommer ist das Wasser des kleinen Brunnens abgestellt. Trotzdem ich mehr als genug Wasser dabei habe um noch weit zu kommen, finde ich es schade hier meine Arme nicht ins kühle Nass tauchen zu können.
Darauf folgt die vielleicht schönste Abfahrt, welche ich in meiner kurzen Liegevelo-Karriere bis jetzt gemacht habe. Langgezogene Kurven, wunderschöne liebliche Hügellandschaft, sowie ein hervorragender Strassenbelag, so dass ich zum ersten Mal bis 60 km/h kurble, und erst dann die Beschleunigung der Schwerkraft überlasse. Ich geniesse es so sehr, dass ich nicht einmal wegen des spektakulären Blicks auf die von Felswänden und Städtchen eingerahmte Balsthaler Klus anhalte.
Sorry, heute kein Bild davon...
Nach Balsthal geht es zuerst ziemlich flach weiter Welschenrohr entgegen, eine leichte Steigung davor ist mit einem Veloweg-Schildchen versehen, auf dem zu lesen ist 3% Steigung während den nächsten 220 Meter. Ein wenig belustigt, aber schon wieder ohne Foto, fahre ich daran vorbei. Auch in Welschenrohr selber lasse ich die eigentlich recht imposanten Kalkwände ohne Foto rechts von mir liegen, und halte erst an, als ich unter einem Baum einen Tisch erblicke auf dem Zwetschgen und Birnen zum Verkauf bereit stehen:
Da der Platz zum unterbringen von einem Kilogramm Zwetschgen ein wenig knapp ist, fülle ich die beschlauchte Trinkflasche mit jener aus Alu nach, giesse den Rest aus Letzterer weg und fülle sie mit Zwetschgen. Die verbleibenden Zwetschgen werden aufgeteilt zwischen Hecktäschen und meinem Magen.
Blick zurück zur Felsenkulisse von Welschenrohr:
Relativ bald darauf geht es in einer kurzen Abfahrt nach Gänsbrunnen runter, das ich bis jetzt nur vom Klettern her kannte. Von hier könnte man via Moutier ins Vallée de Tavannes kommen, aber ich habe mich entschieden über ein kleines Strässchen und ein paar zusätzliche Höhenmeter dorthin zu gelangen. Das Strässchen ist als Wanderweg ausgeschildert. Wahrscheinlich sind hier aber eher die Velowanderer gemeint, denn die durchgehend geteerte Strecke von Gänsbrunnen nach Court ist immerhin 10 km lang, und deshalb meiner Meinung nach nicht unbedingt ein Vergnügen auf Schusters Rappen. Nun, dieses Strässchen hatte es in sich, denn es war offensichtlich erst kürzlich neu und sehr grosszügig gesplittet worden. Mehr als einmal komme ich mit auf dem Kies durchdrehendem Hinterrad und wüsten Verwünschungen auf den Lippen zum Stillstand. Als mir ein Splittabsaug-Wagen von oben entgegen kommt, habe ich schon die Hoffnung, dass es jetzt besser würde. Leider weit gefehlt, denn der Wagen spritzte nur einen einzelnen dünnen Wasserstrahl auf den Splitt, wahrscheinlich auf dass sich Wanderer keine Staublunge holten. Sorry, schon wieder kein Foto, da zu sehr mit fluchen und kämpfen beschäftigt...
Mehr Glück hatte ich dann auf der Abfahrt, denn auf dieser Seite war nicht gesplittet!
Blick in Richtung Vallée de Tavannes:
Blick zurück:
Die Strasse von Court nach Tavannes war ebenfalls schwach befahren, und die gut gemeinten Empfehlungen der verschiedenen Online-Veloroutenplaner (inkl. BRouter wenn man nicht das Velomobil-Profil verwendet) auf die Zick-Zack - Führung der Velowege auszuweichen kann man getrost ignorieren, denn die Hauptstrasse ist eigentlich (wie schon sonst überall) fast immer mit einem Velostreifen versehen.
Auf diesem Abschnitt hatte ich das Vergnügen, wieder einmal ein Pedelec zu zersägen.
An den Steigungen bei denen ich auf 20-23 km/h zurückfiel holte er auf, aber da es immer bald wieder flacher wurde, zog ich wieder mit 26-32 km/ davon. Leider hatte er sein Ziel offenbar in Tavannes erreicht, sonst hätte er mich endlich über den Col de Pierre Pertuis überholen können.
Danach ging es stetig runter bis nach La Heutte (das ich zuvor auch nur vom klettern kannte), und montierte dort die Batteriebeleuchtung, denn jetzt ging es auf die mit drei Tunnelstrecken versehene Autobahn. Ach ja,
die Autobahn weist übrigens auch noch einen Velostreifen auf, und die Geschwindigkeit ist auf 80 begrenzt. Also alles halb so wild.
Das war schon ein bisschen ein spezielles Erlebnis, aber abgesehen vom jeweiligen Lärm und Gestank im Tunnel nichts Abartiges.
Kurz darauf endlich in Biel und am Bielersee.
Ab ins Wasser!
Ein "Beweisbild" vom Flux am See gibt es nicht, denn ich hatte das gelbe Stahlpferdchen ein bisschen weiter hinten an ein Brückengeländer geschlossen.
Lange hielt ich es allerdings nicht aus am See, denn ich hatte ja erst gerade ein wenig mehr als die Hälfte der Rundtour hinter mir. Also Batterielicht wieder weggepackt, und schon ging es weiter, im ausgeschilderten Zick-Zack durch die Stadt direkt auf die mit Velostreifen vesehene Hauptstrasse Richtung Grenchen und Solothurn. Verkehrsaufkommen, Lärm und Gestank waren hier erwartungsgemäss alle deutlich höher als in den relativ abgelegenen und dünn besiedelten Jura-Tälern, das Fahrvergnügen ist in keiner Weise vergleichbar. Trotzdem standen für mich an diesem Tag irgendwelche Zick-Zack -Velowege, falls überhaupt vorhanden, nicht zur Diskussion, denn jetzt war nur noch der schnellste Weg nach Hause gefragt.
Die Velowegstrecke Grenchen-Solothurn der Hauptstrasse entlang kannte ich von vor 30 Jahren her, und ich war schon ziemlich erstaunt, hier z.T. immer noch dieselben Betonplatten zu sehen, während natürlich der Strassenbelag (gleiches Niveau, nur durch Markierung getrennt) durch einen aus Asphalt ersetzt wurde. Korrekterweise muss ich auch erwähnen, dass jene Abschnitte wo früher die Plattenstösse bis zu über 5 cm hoch waren, jetzt auch beim Veloweg saniert sind. Schlimm wäre anders!
Dann, endlich in Solothurn, noch ein letztes Touristen-Foto:
Schon im Vallée de Tavannes war mir aufgefallen, dass die schmackhaften Zwetschgen den Mund ziemlich stark austrocknen, und damit den Wasserverbrauch in die Höhe treiben. Zwischendurch freute ich mich auf die vollreifen Nektarinen, welche Zuhause auf der Früchteschale auf mich warteten. Aber erst irgendwo nach Solothurn merkte ich, dass der "Motor" ganz deutlich nicht mehr die gewohnte Leistung brachte, und als ich eine kurze Pause machte um ein paar Trockenfrüchte und Nüsse reinzuschieben, bemerkte ich, dass der Wasservorrat langsam zur Neige ging. Also hiess es nach einem nicht stillgelegten Dorfbrunnen Ausschau zu halten. Glücklicherweise traf ich nach einigen Kilometern auf einen solchen, und nutzte den Tankstopp um Arme und Gesicht zu kühlen, und nochmals "Trockenfutter" einzuwerfen. Danach ging es wieder recht flott voran.
Kurz vor Aarau biege ich gegen Erlinsbach ab, wo ich wegen der sich ankündigenden Dämmerung vorsorglich wieder das Licht montiere und die bereits wieder fast vollständig leere Wasserflasche an einem Brunnen auffülle, um dann dem letzten Aufstieg über die Salhöhe entgegen zu krubeln. Die Salhöhe ist wegen ihrer gemässigten Steigung leicht zu meistern, dafür aber ein bisschen länger als das benachbarte deutlich steilere Bänkerjoch. Die Wahl war einfach.
Ach ja, das mit dem Licht war jetzt ein bisschen doof, denn das Frontlicht funzte nicht mehr. Entweder Wackelkontakt oder Batterie leer. Egal, ich musste jetzt einfach weiter! Oben endlich angekommen, sehe ich gerade noch das letzte Abendrot am Horizont, also schnell weiter! Nun ja, schnell wäre anders, denn in den bewaldeten Abschnitten sehe ich nicht mehr viel. Bald bin ich im ersten Dorf unten, kann noch knapp die Wegweiser lesen, und kruble fleissig weiter bergab. Schon hat mich der dunkle Wald wieder, und ich halte mich auf der verkehrsfreien Strasse an den hell schimmernden Mittelstreifen. Von Sommer ist jetzt schlagartig rein gar nichts mehr zu spüren, es ist in meiner leichten Kleidung einfach nur noch A****kalt, und ich versuche mich mit krubeln warm zu halten. Den Tacho kann ich schon längst nicht mehr ablesen, aber gemäss eingelegtem Gang und geschätzter Trittfrequenz sause ich mit ungefähr 50-55 km/h im Beinahe-Blindflug talwärts.
Jetzt endlich die ersten Lichter des zweiten Dorfes. Hier bin ich trotz zurück gewonnener Sicht wesentlich vorsichtiger, denn jemand der aus einer Seitenstrasse kommen würde, sähe mich, der ohne Frontlicht naht, wohl kaum.
Dann die letzte Herausforderung: Aufstieg durch den Wald, der über kurze Strecken ziemlich dicht ist und kein Mondlicht mehr durchlässt. Sorry, kein Foto! Irgendwann kann ich den mir bekannten Verlauf der Strasse gar nicht mehr sehen, und lande prompt im Unterholz - zum Glück nur im Schritttempo! Weiter geht es dann die nächsten 30 Meter schiebenderweise im halben Schritttempo, was für mich bei einer so flachen Steigung eine absolute Premiere ist. Später dann nochmals ein stockfinsterer Abschnitt, aber diesmal geht es bergab, so dass ich während des rollenlassens mit einem Fuss am Boden den Strassenrand ertasten kann (ebenfalls eine Premiere). Wenige Minuten danach bin ich nach 10h16' reiner Fahrzeit, und insgesamt ziemlich genau 12 Stunden, wieder Zuhause.
Das war am Donnerstag. Zwar fühlte ich mich ein wenig müde aber, trotzdem ich gegen den Schluss hin sicher wesentlich langsamer geworden war, keineswegs schlapp oder abgekämpft. Vor allem war ich an diesem Abend vollkommen frei von Verspannungen und irgendwelchen Schmerzen, was für mich mit einem normalen Velo nach einer längeren Strecke als 40-50 km völlig undenkbar ist.
P.S.
Als ich Zuhause das Frontlicht zwecks Fehlersuche wieder mit der Batterie verband, funktionierte es natürlich wieder!