Neue Erkentnisse fürs Bergauffahren

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@Fafnir wollte zur Vorbereitung für PBP den Superrandonnée der ARA München zu fahren. Die Idee fand ich gut, also bin ich unangemeldet zum Start gekommen. Er ist allerdings früher gestartet. Deshalb verpasste ich ihn und er wusste nicht, dass ich fast zeitgleich die Runde mit ihm fahre. Am Anstieg zum Penser Joch, beim Pause machen, kam er mir wieder entgegen. Er verzagte in der vorletzten Kehre und ist wieder umgedreht. Mit seinem M5 war das Ganze wohl kein vergnügen. Wir haben uns dann erstmal für knapp drei Stunden in die Wiese gesetzt und geratscht. Natürlich waren auch die Erfahrungen unserer aktuellen Unternehmung ein Thema.

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Ich hatte meine Rostbraune auf 80° gestellt und konnte leidlich entspannt die Steigungen absolvieren. Er hing auf seinem Racer gefühlt kopfunter und hatte schwierigkeiten mit den langsamen Kurven. Die Kraftspange und Hüftfehlstellungen wegen des Lordosehubbels im Liegeradsitz waren ebenso ein Thema wie Tretlagerüberhöhung und rausrutschen aus dem Sitz. Zuguterletzt hat er sich noch auf mein Rädle gesetzt und festgestellt, dass er darauf einen besseren Rückhalt hat und mehr Druck aufs Pedal bringt. Angeregt durch unser gespräch hat sich @Fafnir doch wieder auf die Berge gestürzt und noch eine schönes Radelwochenende verbracht. Bei mir waren es 580 km mit 9600 hm und er hat es noch auf über 600 km und 10000 hm gebracht.

In Paris, beim wiedersehen, hat er mir erzählt, dass ihn unsere Unterhaltung zum rumprobieren gebracht hat und er mit einer neuen Technik die Berge förmlich rauffliegt. Wollte mir aber nichts genaueres dazu sagen.

Also @Fafnir was hast du entdeckt?
 
Wahrscheinlich steigt er einfach von seinem M5 ab und rennt den Berg mitsamt Radschieb hoch...
 
Rennlieger kontra Aufrechtrennrad:

Zunächst mal: Es fahren auch auf Brevets eine Menge Liegeräder rum, und nicht wenige gehören in die Kategorie Reise 20kg+ mit unsinniger Ausstattung und untrainierten Fahrern. Damit kann man mit viel Glück und Rückenwind vielleicht mal einen topfebenen 600er auf den letzten Drücker rollen, aber SRs oder gar PBP?
Die wenigen schweren Kisten, die bei so etwas wie PBP finishen, sind mit Fahrern bestückt, die wissen, was sie tun.

Bedingung 1: Gewicht runter, um jeden Preis
Ein viel zu schwerer Fahrer, der nicht hart trainiert (oder eines dieser seltenen Naturtalente ist) kommt mit keinem Fahrrad schnell die Berge hoch, schon gar nicht mit dem Lieger. Über den Zeitraum von einem Jahr habe ich deshalb (Muskel erhaltend!) 22kg abgespeckt. Das Resultat auf dem letzten Test-600er dieses Jahr (Mittelhessen) gegenüber dem Vorjahr: knapp ein Drittel schneller (38Stunden -> 29 Stunden). Neben der Gewichtsersparnis (weniger Watt pro km/h) freuen sich auch die Organe: Sie sind nicht mehr von Fett ummantelt deswegen besser versorgt. Auf 1000+ bringt das zwei Nächte im Bett statt auf dem Rad. Kein Zombiefahren mehr.
(Ich bin in diesem Jahr insgesamt drei 600er gefahren, um meine PBP-Strategie bis Brest auszuprobieren und meine Fitness zu überprüfen.)

Bedingung 2: Technik, runder Tritt, Frequenz, Fahren in der Gruppe

Die meisten Kollegen sind per Zufall zum Rad fahren gekommen. Sie haben nie im Verein trainiert, haben keine ausgeprägte sportliche Vergangenheit, sondern von der Radreise oder den täglichen Fahrten zur Arbeit irgendwann auf die Langstrecke umgeschaltet. Bei vielen Aufrechtkollegen aus der Szene, die ich kenne, ist das genau anders herum: Seit der Jugend im Verein, im Winter auf dem Fixie auf der Bahn, RTFs, Lizenz.Ist natürlich auch gemein: Clubs, die Lieger trainieren, gibt es nicht und man kann wenig Erlerntes vom Aufrecht zum Lieger "rüberetten". Bei mir hat es Jahre gedauert, um mich quasi auf dem Lieger neu zu erfinden (trotz einschlägiger Vorerfahrung!) und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen verschenken die meisten Lieger unheimlich viel Potential: weil sie die Grundbedingungen für schnelles Rad fahren nicht kennen und dem auch keine große Bedeutung zumessen.

Bedingung 3: Richtiges Training

Hat der Vereinsfahrer natürlich gelernt. So oft haben mir Kollegen erzählt, dass sie jedes Jahr langsamer werden trotz Trainingsfleiß. Strecke machen ist kein Training.

Der heiße Sheizz mit der Kraftspange:
Bedingung 4: Schnell durch die richtige Technik fürs Klettern.

Um den Jahreswechsel habe ich meiner Klassikerleidenschaft nachgegeben und von einem Kollegen aus dem Nachbarforum eine Peugeotrennmaschine aus 1976 übernommen.
Mit der bin ich natürlich auch auf meinen Meßstecken gewesen. Die bestehen im Grunde aus bergauf-bergab, das bedeutet, dass die Steigfähigkeit auf dem Profil besonders zum Tragen kommt. Schon nach ein paar Versuchen war ich auf eine Stunde nur noch rund fünf Minuten langsamer trotz Friktionsschaltung, fünffach Schraubkranz, Rahmenschalthebel als mit meinem voll aus kalibrierten M5, bei dem wirklich alles stimmt. Hauptsächlich, weil ich bergab angstbedingt nicht mit 90 sondern nur mit 50km/h unterwegs war. Denn es ist schon ein Unterschied, ob das Tretlager deines Fahrrades oder dein Hirn die Knautschzone sind.

Auch auf meinen Mittwochs- und Sonntagstrainingsgruppen, die aus Aufrechtfahrern bestehen, waren plötzlich die Kollegen mit der Betrachtung meines Hinterrades beschäftigt auf ihrem Carbongestühl.

Schnell fahren bergauf kann ich offensichtlich, warum nur nicht mit dem Lieger und schon gar nicht mit dem Rennlieger?

Geht nachher weiter...
 
Ok., Kuchen ist in der Röhre. Muss nachher zum Grillen, und weil ich kein Fleisch esse,...

Das war eine wirklich komische Begegnung. Vom Penser Joch beim Aramuc-SR wieder runter auf die italienische Seite, denn ich wollte fliegen, nicht schuften, fahren konnte ich das, aber im Schneckentempo, mit unheimlich viel Krafteinsatz, so hatte ich keinen Spaß. Jetzt fliegt das Liegerad auf den Müll, nach all dem Training, die Luft ist raus. Ich kehre zum Aufrecht zurück. Wunder Hintern, Nackenprobleme, taube Handgelenke, Rückenschmerzen, Gegenwind, ist mir doch egal, wenn mich die mäßig Trainierten am Berg locker stehen lassen!!! Befreit vom Zeitdruck bekomme ich beim Bergabfahren langsam wieder gute Laune.

Linker Hand steht ein merkwürdig verdrehtes Fahrrad im Gras. Auf einem Holzstoß sitzt ein Typ und kaut an einer Semmel. Das kann nur einer sein. Ich bremse und begrüße @Nemberch .

Bisher lese ich nur das übliche unter häufiger Verwendung des bösen T-Wortes
Das übliche sorgt aber nun mal dafür, dass die meisten Lieger nichts reißen, lieber @tomacino . Das meiste Tempo habe ich damit erwirtschaftet.

Wir kommen ins Gespräch. Ich sage: "Ich will hier genial kurbeln und mir nicht die Seele aus dem Leib treten. Wenn sich das nur so anfühlt, als hinge mir ein Mühlstein um den Hals, will ich das alles nicht mehr. Ich interessiere mich auch fürs Langstreckenschwimmen, vielleicht hänge ich das Rad ganz an die Wand! Er sagt, mit Sitz aufrecht komme er langsam aber ohne Schuften nach oben. Ich sitze mal auf seiner Rostbraunen probe, klicke ein und bekomme gleich richtig viel Power in die Pedale.

Wir sprechen über die berühmte Kraftspange/Kraftschleife, die bei den aufrecht Fahrern (mal abgesehen vom Wiegetritt) bei sowas hier für den nötigen Vortrieb sorgt.

Dafür gibt es zwei Bedingungen, Körperspannung im Rumpf und enger Winkel Oberkörper-Oberschenkel (natürlich auch linker Delta-Arsch-rechtes Bein,...).
@Nemberch glaubt auch, dass die Lordosenstütze Kraft rausnimmt.

Manche Lieger versuchen durch aufrechte Sitzpositionen mehr Kraft aufs Pedal zu bringen, nützt ohne die richtige Technik nicht viel, versaut die richtig gute Aerodynamik und verkleinert die Auflagefläche Rücken-Hintern, bis es auf der Langstrecke wieder Druckbeschwerden gibt. Außerdem rauscht der Fahrtwind derbe in den Ohren. Ich habe das ausprobiert und bin bei einem etwas steileren Kompromiss stehen geblieben.

Nachdem ich in Bozen geschlafen hatte, tolles südliches Wetter herrschte und ich auch wieder Spaß am Radfahren gefunden hatte, wollte ich einfach mal nach Brixen fahren und gucken, wie es läuft. Es lief gut und ich kurbelte den Ritten rückwärts mit bis zu 16%. Das mit der Kraftspange ging mir nicht aus dem Kopf.
Ich zog mich testweise am Lenker hoch und rutschte ein Stück nach vorne, um möglichst weit über die Pedale zu kommen, baute Spannung im Rumpf auf und dann mit bis zu 130 U/min (braucht ohne Kraftverlust sehr, sehr viel Übung und Koordination) linker Rücken, rechtes Bein berghoch. Allmählich hatte ich den Bogen raus.

Bei einigen Pausen und gutem Essen habe ich dann die wichtigsten Erkenntnis auf Fahrkarten und Servietten geschrieben und weiter rum probiert.
1. Drehzahl ist alles; je steiler der Berg, desto höher die Drehzahl. Der Krafteinsatz sinkt, die Kreislaufrate steigt und ist dann letztlich der limitierende Faktor.
2. Je größer die Steigung, desto weiter am Lenker aufrecht ziehen, bis man maximal von oben aufs Tretlager kurbelt (und der Tretlagermast flext).
3. Die Rückenauflage ab Lordosenstütze und die Kopfstütze nur noch als Empfehlung sehen, längere sanfte Steigungen ruhig auch schon halb aufrecht in der beschriebenen Weise fahren. Das spart Beinkraft.

Im Grunde fahre ich jetzt in hügeligem Profil immer halb aufrecht, mit 100+, guter Rumpfspannung, S-förmig kurbelnd wie beim Aufrecht, satt anliegen und aus dem Sitz drücken tue ich noch flach oder zur Entspannung. Das ist jetzt das Schöne beim flach eingestellten Lieger. "Schlafenlegen" bei knapp 40km/h auf dem Flachstück, mit bis zu 18 km/h bis 10% aus der Kraftspange die Aufrechtkollegen nicht abreißen lassen.

Auf dem letzten kurzen Stück von Dreux nach Rambouillet bin ich so mit zwei schnellen Franzosen ins Ziel geschossen, ohne irgendwo abreißen lassen zu müssen.

Ich hoffe, dass euch das ein bisschen inspiriert hat. Ich habe mir jedenfalls so einiges vorgenommen, um diesen Stil zu vervollkommnen.

Dafür hätte ich gerne ein paar Bilder, lieber @Nemberch !:sneaky:
 
Man kann ein Birk fahren statt M5, mit Heckverkleidung auch schnell in der Ebene.

Beim Velomobil drückt man sich bergauf auch aus dem Sitz.

Dass man gegenüber dem Upright höhere Frequenzen braucht ist auch klar.

Ich muss auch mal vergleichen, bis jetzt hab ich mir da keinen Kopf gemacht :)
 
Servus Felix,

Beim Velomobil drückt man sich bergauf auch aus dem Sitz.
was meinst Du mit "auch"? Ich habe eine Auswahl an Liegerädern mit Sitzwinkeln im Bereich 25-40°, kann mich aber nicht erinnern mich am Berg aus dem Sitz zu drücken. Vielleicht liegt es daran, daß ich auch genügend ziehe und nicht zu langsam trete. Ich bin nur vereinzelt Velomobile probegefahren, kann mich aber auch nicht daran erinnern mich aus dem Sitz gedrückt zu haben.
Ein Fahrrad mit der begrenzten Leistung des Motors sollte doch auch möglichst effizient diese Leistung in Vortrieb umsetzen.;)

Gruß
Felix
 
Ich nenne es climbing wings, aber genau das meine ich, man stützt sich mit den Armen ab.

Das ist aber auch individuell, manche brauchen es nicht und kommen mit Milan oder M5 Highracer sehr gut die Berge hoch...
 
Interessant finde ich, dass es zum Thema "Kraftschlinge" auf dem LR anscheinend zwei Ansätze gibt, die sich erst mal diametral zu widersprechen scheinen: Auf der einen Seite das Aufrichten (@fafnirs Technik, Doppelmata), wohl verwand mit der guten Steigleistung der MBBs (obwohl diese physikalisch eigentlich ineffektiv sein sollten...), auf der anderen das Konzept, den Hintern zu heben und mit den Schultern in den Sitz zu drücken (Rail Splitter Seat, öfter hier gelesen, im Sprint in der Ebene meine ich auch von dieser Technik zu profitieren).
Überlegt habe ich mal (aber gerade keine Kapazitäten, ein Testobjekt zu bauen), ob ein Sitz, der sich bei Bedarf um einen Drehpunkt deutlich hinter / oberhalb der Hüfte verkippen lässt, eine gute Kletterhilfe / Wiegetritt-Simulation wäre: Normaleinstellung wäre flach mit passendem Tretlagerabstand. Wird der Sitz nun aufgerichtet, erhöht sich der Abstand zum Tretlager. Damit kann die "Po-Hoch-Technik" angewandt werden und gleichzeitig (wie im Wiegtritt) der Einsatz des Fußgelenks erhöht werden. Das stelle ich mir eigentlich recht effektiv vor...
Es bleibt aber der Widerspruch, dass bei diesem Konzept verstärkt mit den Schultern gedrück statt mit dem Armen gezogen wird. Oder ist das am Ende egal, weil die Hauptsache die Spannung im Oberkörper ist?

Gruß, Peer
 
Da muss ich Mal ein Bild einwerfen.

DSCF06291.jpg
Das ist keine effekthascherei, sondern die Position, bei der ich am meisten Druck auf das Pedal bringe.
 
Ich habe hier um die Ecke einen Stopomat.
Bergzeitfahren!
RR im Wiegetritt bin ich deutlich langsamer als wenn ich im Sattel bleibe.

Ich denke schwere Fahrer können mit rundem Tritt leichte Fahrer mit Wiegetritt schneller den Berg hinauf.

Wie es sich beim Liegen verhält lese ich gerne hier. Spielt das eigene Gewicht auch eine Rolle?
 
...Er hing auf seinem Racer gefühlt kopfunter und hatte schwierigkeiten mit den langsamen Kurven. ...
Könnte es nicht daran liegen? Im Thread zur Bequemlichkeit ungefederter Liegen meinte jemand das man auf Strecke halt Effizienz UND Bequemlichkeit braucht um Leistung zu bringen. Und wenn der Kopf der tiefste Punkt des Körpers ist, ist das ja nicht nur unbequem sondern zusätzlich ein Betriebszustand für den der menschliche Körper nicht vorgesehen ist.
 
2. Je größer die Steigung, desto weiter am Lenker aufrecht ziehen, bis man maximal von oben aufs Tretlager kurbelt
Genau diese Erhaltung habe ich mit dem ZZ Horizont fast gemacht: relativ aufrechte Sitzhaltung und Tretlager nicht überhöht. Entspricht dem amerikan. Lightning, das ja auch bekannt ist für seine Klettereigenschaften. Ich bin vor Jahren mit Freunden ( "Aufrechtfahrer") den Mont Ventoux hochgefahren: bis ca 6% Steigung war ich schneller - später wurde ich dann überholt.
(Nur leider ist mir nach Jahren der filigrane Rahmen des ZZ mitten durchgebrochen).
Gustav
 
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