Willst du Leute aufs Rad kriegen musst du ihnen eine passende Infrastruktur anbieten ... und nicht Pedelecs
Ich denke schon, dass Pedelecs dazu beitragen könnten, Leute aufs Rad zu bekommen, derzeit sieht es bei uns aber eher nicht so aus.
Unser Ort wird seit Jahren zunehmend vom Durchgangsverkehr belastet. Von 5h bis 22h brettern Autos und Lastwagen durchs Dorf, wenn sie nicht gerade im Stau stehen, was zunehmend der Fall ist. Das hat dazu geführt, dass Radfahrer, mit und ohne Motor, sich nicht mehr auf die Fahrbahn trauen, sondern verbotenerweise auf dem Gehweg unterwegs sind.
Die meisten Fahrräder, mit ohne ohne Motor, sehe ich hier auf Autoträgern aller Art. Jeder Altöttinger, der das Radfahren entdeckt, erhöht mit ziemlicher Sicherheit zunächst mal unseren Durchgangsverkehr. Direkter Start auf dem Rad gen Süden kommt offensichtlich für die wenigsten in Frage, zum einen ist es ihnen offenbar zu weit oder sie haben Angst, dass der Akku nicht so lange hält, zum anderen haben sehr viele Radfahrer Angst vor dem Auto-Verkehr und suchen deshalb nach Strecken, wo sie ihm entgehen können.
So kam es wohl, dass in den letzten Jahren die neuen Pedelecfahrer vor allem die touristisch angesagten Strecken fluteten: Chiemsee-Radweg, Routen entlang des Inns und der Salzach, per E-MTB auch direkt in den Alpen.
Dies hat dazu geführt, dass auf den bekannten und angesagten Strecken das Fahren inmitten der Radlerhorden immer weniger Spaß macht und die Stimmung immer hektischer und aggressiver wurde. Dies liegt sicher nicht alleine an der zunehmenden Zahl von Pedelecs, aber sie tragen auch ihren Anteil dazu bei.
Dummerweise haben motorisierte Fahrzeuge die Tendenz, die Ungeduld und Unduldsamkeit ihrer Fahrer gegenüber langsameren Fahrzeugen zu verstärken. Ich schreibe wohlgemerkt von einer "Tendenz" und nicht von einer zwangsläufigen Folge, ich kenne durchaus auch ruhige und geduldige Autofahrer, aber in der Summe finde ich diese Tendenz immer wieder bestätigt. In gewisser Weise scheint dies auch bei manchen Pedelecfahrern zuzutreffen, denn ich habe schon etliche Szenen miterlebt, bei denen Pedelecfahrer gegenüber langsameren Radfahrern sehr unbeherrscht und unwirsch reagierten. Das waren Einzelfälle, und die betreffen sicher nicht nur Pedelecfahrer, aber ich erlebe seit Jahren, wie sich auf unseren Straßen die Stimmung verschlechtert, Stress und Hektik erhöhen, und es immer häufiger zu aggressiven Szenen kommt. Und zwar nicht nur im eh schon hektischen Pendlerverkehr, sondern speziell auch im Freizeitverkehr am Wochenende auf den schon erwähnten idyllischen Strecken unserer Region.
Die von Titan Wolf erwähnten "glücklichen" Fahrer gibt es hier immer weniger zu sehen, weshalb ich auch schon längst die Konsequenz gezogen habe, die überlaufenen Strecken zu meiden so gut es geht. Erhöhter Stress und Aggressivität rühren sicher nicht nur von den Pedelecs her, sie scheinen aber auch wenig dazu beizutragen, die Situation zu entschärfen. Auf breiten, gut ausgebauten Strecken wäre das vermutlich alles kein Problem, nur gibt es davon bei uns halt nur sehr wenige.
Fazit: Was ich seit Jahrzehnten im Verkehrsgeschehen erlebe, ist eine unablässige Aufrüstung: schneller, leistungsfähiger, größer, schwerer, und das halte ich für sehr verhängnisvoll. Meiner Ansicht nach bräuchten wir eher eine Abrüstung und Entschleunigung, mehr Entspannung und Gelassenheit im Verkehr, und vieles, was derzeit noch als Problem erscheint, wäre dann keines mehr.
Pedelecs sehe ich in diesem Zusammenhang zwiespältig. Sie wären durchaus in der Lage, das Verkehrsgeschehen zu entspannen und zu entschleunigen, aber nur wenn sie auch tatsächlich Autofahrten ersetzen. Ersetzen sie dagegen die bisherigen Fahrräder, bedeuten sie eher eine Aufrüstung, mehr Stress auf den eh schon zu engen Wegen, und eine weitere Verschlechterung der Situation vor allem für die schwächeren und weniger leistungsfähigen Radfahrer.
Es sollte jetzt deutlich geworden sein, dass es mir fern liegt, Pedelecs die gesamte Schuld für alles und jedes zuzuschreiben, aber ich warne auch davor, sich zuviel von ihnen zu erwarten, was die Bekämpfung des Schweinehundes oder den Ersatz von Autoverkehr betrifft.
Wie sich die Situation für die Radfahrer in Zukunft entwickelt, wird in erster Linie von den Weichenstellungen in der Gesellschaft abhängen, also ob sich das Image der Radfahrer bessert und ihnen endlich eine vernünftige Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Vor allem aber mehr Integration statt Abtrennung, und ich bezweifle, dass dies ohne eine Absenkung der Spitzengeschwindigkeiten des Autoverkehrs möglich sein wird.