Border of Belgium
Es wurde langsam mal Zeit sich an die wirklich großen Brocken zu wagen.
Fünf mal Superrandonneur und immer noch keinen 1000er gefahren. Wenn ich nächstes Jahr PBP fahren möchte, sollte ich vorher wissen, wie das mit mehr als zwei Nächten so bei mir läuft.
Also habe ich mich sofort bei Anmeldebeginn Anfang des Jahres für BoB angemeldet, incl. Schlafgelegenheit für die zweite Nacht.
Die Anreise mit Norbert
@norfiets im Wohnmobil bot wieder allen Komfort für die An- und Abreise. Ein großes Dankeschön nochmal an dieser Stelle.
Günther
@speedmanager haben wir am Mittwoch auch noch mitgenommen, so war das Wohnmobil maximal belegt, ohne an Komfort einbüßen zu müssen.
Nach einer halbwegs geruhsamen Nacht, in der wir von der bijzondere veldwachterij (in Uniform und mit Dienstfahrrad) der Domein Puyenbroeck freundlich aber bestimmt vom Schwimmbadparkplatz auf den Camping gebeten werden, kommt es uns ganz gelegen, dass der Start am Donnerstag erst um 14:00 Uhr ist.
Am Start ist so Zeit und Gelegenheit den einen oder anderen Schnack zu halten, Kaffee zu trinken und sich mental auf die Strecke einzustellen.
Ich hatte mir eine kleine Marschtabelle gebastelt, das Hauptziel war, nicht zu spät in der Jugendherberge in Champlon etwa bei km 555 aufzulaufen. Sollte alles perfekt laufen, sollte ich da gegen 20:00 Uhr aufschlagen.
Pünktlich um 14:00 Uhr schickt Rhonny die erste Gruppe per Handschlag und besten Wünschen auf die Reise. An der Ausfahrt des Campings biegt die ganze Meute nach rechts ab. Hä? Nur Günther und ich folgen dem aktuellsten Track und fahren links. Weg sind sie alle. Günther lasse ich auch bald ziehen, es läuft nicht. Belgischer Asphalt halt.
Auf dem ersten Stück Kopfsteinpflaster fällt mir gleich die Kette von der Pendelrolle. Die 40er Primos sind eine gute Wahl um die Schläge abzumildern, aber dafür hüpft die Fuhre ganz schön bei 5 bar.
Die Kette wird mir noch einmal runterfallen, bis ich den Bügel, der das eigentlich verhindern soll maximal nach vorne drehe.
Hajo zischt vorbei, ich winke ihm alles Gute zu, dann ist er weg. Auch die anderen Velomobile überholen mich bald. Wo das Gros der ersten Gruppe geblieben ist, keine Ahnung, ich werde nur von einzelnen Fahrern und kleinen Grüppchen überholt, das hört aber bald auf.
Ich selber laufe auf niemanden auf. Das trägt nicht zu meiner Beruhigung bei, ich bin total verkrampft, die miesen Straßen mit dem Gehüpfe machen es noch schlimmer, der Tacho zeigt kaum 23km/h an.
Das kann ja heiter werden. Der Magen rebelliert auf diesem ersten Abschnitt auch von dem Gerappel. In einem kleinen Abschnitt in Holland wird es etwas besser. Hier holt mich Andreas
@bike_slow ein. Oha. So hatte ich mir das nicht gedacht.
Zeebrugge ist ätzend, meine Laune ist schon am Tiefpunkt, wie soll das weitergehen. Eine Klappbrücke auf dem Weg steht offen und macht nicht den Anschein, bald wieder geschlossen zu werden. Zum Glück gibt es eine Umfahrung über eine zweite Brücke wie ich im Navi sehe. Mit Andreas und Gaby im Schlepptau verlasse ich die Randonneur-Warteschlange und wir nehmen die Umgehung.
Der weitere Weg die Küste entlang ist gepflastert mit miesen Radwegen, das Meer sehen wir nicht, Schade...
Ich versuche mich zu entspannen und im Brevet anzukommen, es gelingt nicht wirklich. Zum Glück habe ich Andreas dabei, den ich gefühlt etwas ausbremse.
Wir halten an einem Bäcker, der Magen möchte den appelflap haben, na immerhin.
Bis zur ersten Kontrolle in De Panne bin ich eine halbe Stunde hinter meiner Marschtabelle, geht ja noch. Also keine große Pause und weiter.
Nun wird es tatsächlich langsam besser, die Straßen sind nicht mehr ganz so schlimm, die erste Nacht beginnt. Ieper im Dunklen sieht toll aus, das erste Mal gibt es was für die Augen. Schön. Die Lakenhalle habe ich bis gerade für eine Kirche gehalten. Die Durchfahrt durch das Menenpoort Kriegsdenkmal ist beeindruckend.
Die Ampelstrecke durch Robaix ist nervig, aber nicht so schlimm wie befürchtet. Danach wird es hügeliger und ich fahre Andreas an der ersten ernsthaften Steigung weg, warten macht keinen Sinn, ich muss meinen eigenen Stiefel fahren. Ich werde ihn nicht mehr wiedertreffen, er wird abbrechen.
Ich bin nun endlich im Brevet angekommen und entspanne mich immer mehr. Daran kann auch das schlechter werdende Wetter nichts ändern. Der Morgen ist grau. Es regnet Bindfäden. Mal klart es auf. Regensachen lohnen sich nicht. Die Überfahrt über die Staumauer der Lacs de l'Eau d'Heure vor Cerfontaine hat etwas gespenstisches. Alles grau, keine Menschenseele, rechts der See wird vom Wind aufgepeitscht, die Wolken hängen tief. Mir ist nicht nach einem Fotostop, die Tankstelle bei km 341 lockt.
Dort gibt es köstliche warme Croissants als Frühstück, ich bin 1,5h hinter meinem Zeitplan, schxxxx drauf ;-)
Auf dem weiteren Weg nach K2 wird der Regen durchgehend, ich verpasse es rechtzeitig die Regensachen anzuziehen und werde klatschnass. Egal, das Gelände hält warm unter den Regenplünnen.
Die Boulangerie in Houyet (K2) scheint geheizt zu sein, es ist schön warm drinnen im Gegensatz zu draussen. Zum Glück haben sie hier Plastikstühle, weil, ich bin durchnass und sitze in meinem eigenen Saft.
Der Rückstand auf meine Marschtabelle ist nicht größer geworden, der Regen hat fast aufgehört, also kann ich langsam anfangen, meine Klamotten im Fahrtwind zu trocknen. Es wird weiter hügleiger, irgendwann fahre ich auf Morten auf.
K3 Martelange, der Rückstand zur Marschtabelle bleibt konstant trotz der vielen Höhenmeter. Aber das war in die Marschtabelle eingepreist. Ich erreiche die Kontrolltanke mit Morten und Günther, den wir zwischenzeitlich 'einkassiert' haben. Gaby ist irgendwo hinter uns. Morten geht hier was essen, da er in Champlon kein Essen gebucht hat.
Ich fahre erstmal alleine weiter, jetzt kommt der schwerste Abschnitt bis zur Jugendherberge, über 800hm auf 59km. Nach knapp 500km mit 3800hm kein Zuckerschlecken.
Ausserdem wird es wieder dunkel. Irgendwann bin ich mit Günther und dem zweiten Tiefliegerfahrer und noch einem Up-Fahrer zusammen.
Lange Abfahrten im Dunklen, Kurven werden am Track auf dem Navi erkannt... Spannend, das hält wach.
Dann eine Baustelle, alles ist aufgerissen, schieben ist angesagt. Irgendwann bin ich wieder alleine, weil, zu langsam...
Die Straße zur Jugendherberge verwirrt mich. Irgendwie ist der Ort zu Ende, es geht mit wachsenden Steigungsgraden bergauf, die Autobahn kommt näher. Hä? Jugendherberge und Autobahn passt für mich nicht zusammen. Ich halte an und muss das Navi checken, ob ich nicht schon zu weit gefahren bin.
Aber ich bin richtig und um kurz nach 22 Uhr erreiche ich die Jugendherberge (K4) an der Autobahn. Nur zwei Stunden hinter meinem Plan. Passt schon.
Ich bin ziemlich gar. Dass das Empfangskomittee aus Engländern besteht, raffe ich erst gar nicht. Die Sprache ist grad nicht verfügbar.
Egal, das scheint man hier gewohnt zu sein und ich werde routiniert eingecheckt und mit meinem Dropbag versorgt.
Duschen, essen, schlafen. Kein Schnarcher im Zimmer zu Acht, was will man mehr. Die Ohrstöpsel sind trotzdem gut und schotten schön ab.
Etwa fünf Stunden Schlaf, herrlich, das Frühstück muss ich mir reinzwängen, bin kein Frühstücker. Morten und Gaby sind auch da, prima, Günther hat es schon weiter gezogen. Von Norbert nichts zu sehen.
Es ist kalt draussen, noch zeigt das Thermometer 8° an, später wird es auf 3° sinken. Das Morgengrauen ist toll. Ich beschliesse, das nun der wirklich tolle Teil beginnen soll. Keine Marschtabelle mehr, nur geniessen. Kurz nach 6 geht es weiter, meine Velomobilisten sind schon weg.
Die Ardennen sind schön. Tal folgt auf Tal, mit und ohne Morgennebel, ich fahre alleine meinen Rhythmus. Rasante kurze Abfahrten und sofortiger Gegenanstieg. Es wird einem nicht kalt, dazu sind die Abfahrten nicht lang genug.
In Gouvy verheisst ein Schild das baldige Erscheinen einer Boulangerie am Strassenrand. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, zweites Frühstück, das mache ich!
Natürlich stehen unter anderem schon zwei Velomobile vor der Bäckereitür. Fröhliches Geplauder am Tisch, die Laune ist gut.
Auch das Wetter meint es am Samstag gut mit uns. Die Weiterfahrt gestalten wir zu dritt, die Abfahrten sind kein Vorteil für Velomobile, bergauf bin ich nur unwesentlich schneller.
Es geht immer weiter bergauf, ein langer Anstieg auf weit über 600m. K5 Losheimergraben muss in einem Tal liegen, denke ich und warte auf die Abfahrt. Pustekuchen, der Ort liegt am Ende des Anstiegs auf 676m direkt an der deutschen Grenze. Essen fassen im Hotel Schröder. Randonneure sitzen in der Sonne auf der Terasse und lassen es sich gut gehen. Dreimal Kürbissuppe zu unterschiedlichen Zeitpunkten bestellt. Dreimal mit Brotkorb. Warum nur meiner ein Glas Griebenschmalz enthält? Keiner weiss es. Zum Teilen ist es für Gaby zu spät und für den Holländer zu früh, er hat noch gar nichts bekommen, als ich das Schmalz schon vernichtet habe...
Weiter geht es zum höchsten Punkt am Signal de Botrange. Die Anfahrt ist spannend, eine stark befahrene recht schmale Strasse ohne Radweg. LKWs die den ganzen Rückspiegel ausfüllen. Ein Verrückter ballert mit gefühlten 180km/h vorbei. Beruhigend, dass ich nicht der einzige Radfahrer hier bin, obwohl ich wieder ohne Begleitung unterwegs bin.
Die Abfahrt nach Eupen ist fantastisch. Auf einmal sind alle Autos weg, die stehen wohl alle oben am Signal.
Jetzt nur noch ein paar wenige Höhenmeter zum Drilandenpunt (K6) hoch und nach Visé (K7), dann wird es flach.
Am Drilandenpunt genehmige ich mir eine (holländische) Pommes Spezial, Morten und Gaby mit ihren Ufos erregen in dem Rummel da oben einiges an Aufmerksamkeit, das würde ich alleine nicht schaffen. Morten macht den Erklärbär und hebt Kinder in sein Quest. Der hat Nerven...
Die Höhenmeter auf holländischer Seite auf den Weg nach Visé erweisen sich als sehr zäh, in einem Hohlweg schiebe ich lieber. Es ist nicht das erste Mal auf dieser Runde, aber das letzte Mal.
In Visé herrscht im D' Artagnan gute Stimung als wir zur Kontrolle 7 eintreffen. Der Wirt spricht ein unglaubliches Sprachgemisch aus flämisch, französisch und deutsch. Ich verstehe kein Wort und lasse Morten machen. Der kann eine ähnliche Sprache wenn es sein muss...
Ohne Stempel, aber mit Unterschrift fahren wir weiter, es ist fast schon wieder dunkel, die dritte Nacht naht. Am Albert Kanal fährt es sich ausgezeichnet. Die Kulisse ist futuristisch, ich komme mir vor wie in einem Science-Fiction Film. Die Beleuchtung der Schleuse und eine bunt angestrahlte Brücke sehen in der Dunkelheit beeindruckend aus.
Bald ist dieser tolle Abschnitt aber vorbei, es wird eintönig, die Müdigkeit kommt mit Macht. Ich wähne Lommel (zweite betreute Kontrolle mit buchbarer Ess- und Schlafmöglichkeit) als nächste Kontrolle und bin bass erstaunt, als kurz vor Ende des Tracks 'Maaseik' auf dem Ortsschild steht. Mist. Ich wollte ausruhen und was essen. Also erstmal K8 im Hotel van Eyck. Hier wird gerade alles hochgeklappt, aber wir dürfen noch kurz rein und uns auf der Toilette frisch machen.
Als ich von der Toilette komme, sehe ich Morten in einer Menschentraube fein gekleideter Menschen stehen. Was geht denn da wieder ab? Er musste natürlich mal wieder erklären, was wir so treiben und Velomobilwerbung machen. Dafür bot man ihm einen Rafale-Kampfjet an... Es waren wohl Mitarbeiter des Dassault-Konzerns.
Ich habe dafür keinen Kopf und bereite mich draussen auf die Weiterfahrt vor.
Durch irgendwelche Verfahrkünste haben wir unterwegs Gaby verloren, Morten geht leider langsam der Akkustrom aus. Er hatte gehofft, bei Gaby noch einen Akku bekommen zu können. Jetzt fährt er mit gedimmter Frontbeleuchtung hinter mir her um Strom zu sparen. Wir laden für den Notfall seine Notlampe an meiner Powerbank auf.
Ich bin ziemlich müde und muss in eine Bushalte Pause machen.
Lommel (K9) erreichen wir auf abenteuerliche Wegen durch ein Waldstück an einem Ford-Testgelände.
Die Müdigkeit hat mich voll im Griff, an der Kontrolle lasse ich Morten wieder machen (danke!), er leiert Francis (hab ihn nicht erkannt...war er es wirklich?) zwei nicht bestellte Portionen Pasta aus den Rippen. Francis? ist auch schon ziemlich gar, es ist irgendwas um 4 Uhr morgens und weiss gar nicht, was er uns für die Pasta berechnen soll.
Das Tischgespräch mit zwei Engländern ist aus meiner Richtung leider sehr einsilbig. Dass das ontmoetingshuis an einem Militärfriedhof liegt, war mir aber schon vorher bekannt.
Irgendwann taucht auch Gaby auf, ebenso Günther (hat wohl dort etwas geschlafen), der vor uns davonrauscht.
Wir fahren zu dritt weiter, Morten kriegt einen frischen Akku von Gaby, nun stehen einige Kilometer Kanal an. Sehr eintönig in der Dunkelheit. Zwischendurch gilt ein paar Baustellenzäune für die Velomobile aus dem Weg zu räumen. Wir treffen auf eine Gruppe Randonneure.
Irgendwann biege ich rechts ab, der Rest links. Mein Track geht halt da lang, also fahre ich alleine weiter und finde am nächsten Kanal meine Mitfahrer nicht wieder.
Ich mache mir Musik auf die Ohren und trete im Alleingang die stupiden Kanalkilometer nieder. Vermeindliche nicht näher kommende Rücklichter erweisen sich letztendlich als Schleusensignale. Frustrierend. Ich habe keine Ahnung, ob die Velomobile vor oder hinter mir sind.
Es wird wieder hell, die Müdigkeit bleibt, ich will zur letzten Kontrolle, einer Bäckerei. Kaffeeeeee!
Um 8 Uhr betrete ich dann K10 inmitten der morgendlichen Brötchenholer. Mein holländisch funktioniert wieder und ich erhalte Kaffee und Frühstück nebst Kontrollkarteneintrag. Nun geht es Richtung Antwerpen erstmal durch NL, die Einwohner dort sind so nett, dass sie ab und zu Bänke an der Straße aufgestellt haben. Ich nutze diese reichlich für den ein oder anderen Powernap. Das funktioniert ganz gut, aber ich bin ganz froh Antwerpen zu erreichen. Die wuselige Stadt hält besser wach als jeder Kaffee. Ausserdem gilt es, die Baustelle am Hafen zu meistern, leider fährt mir ein Randonneurs-D-Zug beim Umziehen (es ist auf einmal richtig warm) vor der Nase weg. So wie die unterwegs sind, muss da ein Local an der Spitze fahren.
Ich finde den Eingang zum Sint-Annatunnel nicht... Bin ich jetzt doof oder was? Aber auch das kriege ich hin, der Tunnel ist schon eine Nummer für sich. Gefällt mir aber.
Auf der anderen Seite freue ich mich, dass es nur noch so wenige Kilometer sind (40). Zweimal zur Arbeit, ein Klacks.
Denkste. Das zieht sich. Betonplattenweg die Autobahn entlang. Bahntrassenweg mit Sonntagsausflüglern. Ein Junge will Wettrennen fahren, sehr gut, ich bin wieder wach. Kurz vor dem Ziel tut alles weh, was sich vorher nicht gemeldet hat.
Eine Gruppe Randonneure im Rückspiegel hilft beim Endspurt, als sich etwas Oranges an der Gruppe vorbeischiebt ist Morten wieder bei mir. Gemeinsam rollen wir ins Ziel.
1000km, Wahnsinn!