Guten Abend!
Nachdem ich hier seit einiger Zeit mitlese kann ich mich und mein neuestes Rad wohl auch mal richtig vorstellen. Ich komme ursprünglich aus Stuttgart, bin aber immer weiter nach Norden gezogen und lebe seit 17 Jahren mit Familie in Schweden. Seit ich etwa 13 war bin ich intensiv auf zwei Rädern ohne Motor unterwegs (das war ca. 1990). Touren, Alltag, Sport, alles was man so auf der Straße macht (MTB war nie mein Ding).
Seit gut fünf Jahren haben mich lange Strecken in (relativ) kurzer Zeit am meisten interessiert. So bin ich in der schwedischen Randonneurszene gelandet. Die Brevets wurden länger, die Zeiten kürzer (obwohl ich selten mit den richtig schnellen Leuten mithalten kann). PBP 2019 vor genau zwei Jahren war ein großer Spaß. Was mich an den Brevets reizt, ist u.A. die Möglichkeit zu optimieren: Besser werden als beim letzten Mal über die gleiche Distanz, bessere Schlaftaktik, weniger Standzeit, bessere Ausrüstung, bessere Vorbereitung, das hört nie auf...
Womit wir langsam zum Liegerad kommen, ich war doch bisher weit über 100 000 km auf Diamantrahmen unterwegs gewesen. Irgendwie faszinieren mich Liegeräder seit 25 Jahren, aber bis vor zwei Monaten habe ich nie eines besessen. Nur Möglichkeiten für Probefahrten wurden selten ausgelassen. Aber mit der Bevölkerungs- und Liegeraddichte dieses Landes ist das in den letzten Jahren auch nicht gerade oft passiert. Eigentlich bin ich mit meinem Rennrad/Randonneur auch durchaus zufrieden (ist gut optimiert nach vier Jahren und bald 30 000 km). Aber eine Rennsänfte wäre vielleicht doch nochmal ein größerer Schritt in die richtige Richtung?
Im Nachhinein frage ich mich was jetzt gewesen wäre, ohne dieses abgrundtiefe Motivationsloch nach PBP 2019. Und dann dem langen schwedischen Winter. Und dann plötzlich 1,5 Jahre Homeoffice, wo ich vorher lange 5 Tage die Woche 35-40 km pro Tag mit dem Rad pendeln durfte. Die 2020er Saison war plötzlich irgendwie vorbei ohne dass sie jemals angefangen hätte. Wenn man kaum noch fährt wird es auch wieder richtig anstrengend! Eine Veränderung musste her.
Naja, das Ende der Geschichte (vorerst) ist jedenfalls dass jetzt (neben diversen anderen Rädern) ein Pelso / Brevet in der Garage steht, die Motivation wieder da ist, die Muskeln wieder fester werden und das erste Brevet seit längerem im Kalender steht. Das Rad und ich kennen uns jetzt seit knapp 2000 km oder sechs Wochen, meine Knie wollen nicht mehr rebellieren, falls ich mal zu weit fahre, und das Potential eines High-Racers, das schon nach ein paar Tagen deutlich zu spüren war, beginnt sich langsam auch zu zeigen. Ich gewöhne mich sogar daran, am Berg die Kadenz über 90 (naja, manchmal 80) zu halten!
Mit dem Pelso bin ich etwa 3 km/h schneller (im Schnitt) als mit meinem ähnlich ausgerichteten Upright bei gleichem Trainingsstand. Abgesehen von den Beinen kommt man darüberhinaus mit fast unverbrauchtem Körper an, selbst nach ordentlichen Etappen. Ganz so deutlich hätte ich das eher nicht erwartet! Dass Strecken mit losem Schotter (mit diesem Rad) kein Spaß mehr sind, damit kann ich mit leben -- ist halt ein saubequemes Rennrad. Wir haben hier reichlich schönen Asphalt mit wenig Verkehr, Kreuzungen und Ampeln.
Unten sind ein paar Bilder. Ich hab den Rahmen mit Tiller und relativ flachem Sitz aufgebaut (ca. 20°?). Das Rad steht auf 40x584-Reifen, Rene Herse Babyshoe EL (ich fahre seit Jahren sehr gerne Reifen von Compass / RH). Leichte Laufräder mit DT 240 und 400g-Felgen (Pacenti asym.), Magura Scheibenbremsen, einen 2x11-Antrieb momentan großteils mit Teilen aus dem Fundus (Sugino XD2 in 165mm, Shimano 105 Schaltung, 11fach YBN-Kette). Die Position der Lenkerendhebel auf Paul Thumbies ist etwas speziell, funktioniert aber super. Schutzbleche haben meine Räder eigentlich immer, aber bei diesem scheinen sie kaum nötig zu sein (Rahmen und Sitz halten das meiste ab). Ein anderes Vorderrad mit SONdelux und Scheinwerfer werden bei Bedarf eingebaut. Die Kopfstütze ist Eigenbau, super bequem und hat Halter für eine Ortlieb Außentasche (1,8 oder 3,2 Liter). Für längere Strecken habe ich noch ein paar kleine Extrataschen bereit. Testweise bin ich auch mal mit Low-Rider und Frontrollern gefahren, auch das ging (ist aber aerodynamisch seltsam und sicher nicht das, wofür das Rad ausgelegt ist).
Ein Gebrauchtmarkt ist hierzulande quasi nicht existent (und versenden z.B. aus D teuer und umständlich), probefahren können wäre Glückssache, und deshalb wurde es (gegen allen guten Rat hier im Forum) ein Blindkauf, und dazu noch ein recht teurer. Aber ich glaube ich bin der Sache zumindest sehr nahe gekommen. Alles weitere lässt sich optimieren ;-)
So, jetzt noch ein paar Bilder und, falls es wen interessiert, der Link zu meinem Strava-Profil:
https://www.strava.com/athletes/siebengang
Wir lesen voneinander!
Benjamin