Aus dem Leben eines EVO-R

Ein Velomobil ist für ebene Strassen mit gutem Belag gemacht. Zur Not kann man ja auch mal einen Gebirgspass einbauen. Aber warum DYNAMIK heute von Samedan nach Pontresina die Veloroute wählen musste, verstehe ich nicht. Das ist einfach zum Durchdrehen. Ich meine Hinterrad auf Kies und 20 % Steigung. Und morgen soll es über den Bernina-Pass gehen. Wenn das nur gut geht. Ich meine wegen Bremsen und so.

Pontresina, 1. 9. 20

Zürich -Sargans

Heute ging's bei wechselhaftem Wetter vorwiegend bergauf. Von Sargans - auf etwa 450 m gelegen - ging es zuerst gemächlich durchs Prättigau, zumeist der Landquart entlang. Auf dieser Strecke muss man die Fahrradroute nehmen, aber die hat einen sehr guten Belag. Bei Küblis steigt es dann doch recht happpig bis nach Klosters, das halt doch auf 1300 m liegt. Hier hat sich die neuer Schaltung ausgezeichnet bewährt. Auf Abschnitten, auf denen ich das letzte Mal schieben musste, konnte ich nun drin sitzen bleiben. Zum Glück haben sie hinter Klosters den Vereina-Tunnel gebaut. Den hatte ich nämlich vor 45 Jahren als Diplomarbeit bearbeitet. Mit dem VM fährt man wie die "Grossen" auf dem Autozug. Ein etwas unheimliches Gefühl.


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Im Autozug des Vereinatunnels

Auf der anderen Seite des Tunnels wartete ein strahlender Himmel. Auf das Engadin ist Verlass. Die Strecke dem Inn entlang durch die vielen alten Dörfer wie Zernez, Zuoz und Madulein ist etwas vom Schönsten für eine VM-Tour. Man sollte hier auf keinen Fall den Veloweg wählen. Kurz vor Pontresina habe ich es wieder einmal versucht und bin auf einem Kiesweg mit 20% Steigung gelandet. Gegen sechs Uhr erreichte ich Pontresina und fand im Sporthotel ein schönes Zimmer. Auch EVA bekam einen abschliessbaren Raum und sogar die verschwitzten Kleider darf man hier zum Waschen abgeben. Alles inbegriffen.


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Eines der wenigen traditionellen Häuser in Pontresina

Das Dorf Pontresina ist nicht überwältigend. Im 18. Jahrhundert wurde es durch eine Feuersbrunst zerstört und hat deshalb nicht soviele alte, ehrwürdige Gebäude wie andere Dörfer im Engadin. Dafür ist der Blick in die Gletscherwelt um so berauschender.


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Blick in die Gletscherwelt von Pontresina aus

Uebrigens, das Engadin war Teil des "Grauen Bundes", der im 15. Jh das Veltlin erobert hatte und es als Untertanenland "verwaltete". Leider gehört das Veltlin heute nicht mehr zur Schweiz. Aber davon später.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vor dieser Etappe hatte DYNAMIK am meisten Angst. Nicht der Anstieg zum Berninapass, nein, die Abfahrt nach Poschiavo machte ihm Sorgen. Das sind immerhin 1500 m steil bergab und das mit Trommelbremsen, die für Flachland erfunden worden sind. Dass das problemlos gehe, ist ein Märchen. Es braucht regelmässige Pausen, um die Bremesen abkühlen zu lassen, wenn einem das Leben lieb ist. Und ich glaub DYNAMIK hängt noch ein bisschen am Leben. Er will nämlich mit mir zusammen noch ein paar Langfahrten unternehmen.

Domaso, 2. 9. 20

Pontresina - Comersee


Der Berninapass - von Pontresina aus angepackt - ist gar nicht so schlimm. Die weissen Berggipfel und die Gletscher sind so nah und überwältigend, dass man aus dem Staunen gar nicht rauskommt. Und unvermerkt ist man auf der Passhöhe.

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Bernina-Passhöhe

Die Abfahrt nach Poschiavo hingegen ist für ein Velomobil schon eher eine Herausforderung. Da braucht es dosiertes Bremsen und immer wieder Pausen um die glühenden Bremsen abkühlen zu lassen.

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Dosiertes Bremsen ist extrem wichtig

Ab Tirano kann man es dann ungeniert laufen lassen. Es gibt sogar einen speziellen Radweg: die Via Valtellina. Das Veltlin hat ein ideales Gefälle für ein VM und ist übrigens wunderschön. Wir hätten es halt doch behalten sollen.

Das Veltlin hat uns tatsächlich einmal gehört. Die Bündner hatten es im 15. Jh den Mailändern abgestaubt und während 250 Jahren ausgenommen bzw. als Untertanenland verwaltet. Mit Napoleon gabs dann etwas Aerger, aber er war durchaus bereit den Bündnern das Veltlin als gleichberechtigten neuen Kantonsteil zu überlassen. Das wollten aber die Bündner nicht (denn schliesslich war es Untertanenland) und so kam das Veltlin über einige Umwege zu Italien.

Gegen 6 Uhr erreichte ich das obere Ende des Comersees (das auch mal uns gehört hatte, aber nur für ein paar Jahre im 16. Jh) und fand in Domaso ein hübsches Hotel und einen gedeckten Tisch unter den Bögen mit Blick auf den Comersee.

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Abendessen mit Blick auf den Comersee
 
Zum Glück hat DYNAMIK vorgesorgt. Keine Reise ohne Ersatzpneu und Ersatzschlauch. Auch die Pumpe, Handschuhe und sonst noch ein paar Kleinigkeiten gehören dazu.

Ascona, 3. 9. 20

Comersee - Langensee

Heute war der Tag der Oberitalienischen Seen. Dabei gehörte früher noch etwas mehr zur Schweiz als heute. Die drei Gemeinden Dongo, Gravedona und Sorico am oberen Ende des Comersees (Le tre pieve) durften wir unser eigen nennen. Sie unterstellten sich 1512 der Herrschaft des Grauen Bundes. Wahrscheinlich war es unter unserer Herrschaft etwas angenehmer als unter Mailand. Allerdings mussten wir 12 Jahre später wieder darauf verzichten.

Hier startete ich frühmorgens um 7 Uhr und fuhr südwärts dem Ufer des Comersees entlang bis nach Menaggio. Mit dem Fahrrad bzw. Velomobil kann man häufig die alte Strasse benutzen, während die Autos die neuen Tunnelumfahrungen nehmen müssen. Wenn diese alte Strasse etwas gepflegt würde und zumindest von Kies und Aesten befreit würde, wäre es noch etwas genussvoller. Auch die Beschilderung ist nicht immer ganz eindeutig, denn, ohne zu wollen, landete ich in enem Dörfchen hoch am Berg oben. Dafür war die Aussicht atemberaubend. Deshalb machte ich einen Halt um das Foto meines Lebens zu knipsen. Nur um festzustellen, dass der vordere rechte Pneu keine Luft mehr hat. Naja, ist keine Tragik, wenn man einen Ersatzschlauch hat und den Glassplitter im Mantel gefunden hat.

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Manchmal genügt ein kleiner Glassplitter

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Aussich auf den Comersee

In Menaggio führte mein Weg in engen Kehren 200 m in die Höhe um dann sanft zum Luganersee abzufallen. Auch diese Strecke, vor allem dem Luganersee entlang, ist traumhaft schön. Von Lugano bis Ponte Tresa war wegen der Steigung und dem Verkehr ziemlich Durchhaltewillen gefragt, dafür war der Abschnitt Ponte Tresa - Luino eine Ueberraschung. Keine Steigung sondern eine gemütliche Fahrt durch eine romantische Schlucht.

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Schlucht zwischen Ponte Tresa und Luino

Luino, das wunderschöne Städtchen am Langensee, auch das hat einmal zur Schweiz gehört. Allerdings nur für zwei Jahre im 16. Jh. Das Mittagessen war trotzdem sehr bekömmlich.

Die letzte Etappe führte um das obere Ende des Langensees durch die Magadino-Ebene nach Tenero und schliesslich nach Ascona. In Tenero musste ich der Fussgängerbrücke, für die ich vor 20 Jahren Schwingungsbrechnungen durchgeführt hatte, einen kurzen Besuch abstatten und in Ascona wartete ein wunderbares Abendessen bei lieben Freunden und ein warmes Bett. Herzlichen Dank an Helena und Gerri.

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Männer sind kompliziert und empfindlich, wenn es um körperliche Leistung geht. Heute in den Serpentinen des Centovalli war wieder mal so ein typischer Fall. Vorne fährt die einzige Dame in unserer Gruppe schwungvoll Kehre um Kehre nach Intragna hoch. DYNAMIK, der einiges später oben ankam, hat sich rausgeredet mit der faulen Begründung, dass ich (EVA) eben so schwer sei und vom dritten Teilnehmer kam nur eine missmutige Erklärung, dass man jetzt nach einem Bahnhof ausschauen sollte anstatt seine sportliche Gattin in den höchsten Tönen zu rühmen.

Blitzingen, 4. 9. 20

Langensee - Goms

Unter der Führung von Helena und Gerri gings heute durchs zauberhafte Centovalli. Ob's jetzt tatsächlich hundert Täler waren, weiss ich nicht, aber es ging sicher hundert mal rauf und runter. Am Anfang ist es hier noch recht gemütlich und flach aber nach Intragna hinauf gibt es ein paar unerbittliche Haarnadelkurven. Helena fuhr munter die 10%-Steigung bergauf. Ich brauchte etwas länger aber Gerri war von der ganzen Sache nicht so ganz angetan aber er folgte uns tapfer.


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Das Centovalli, wo es noch genütlich und flach ist

Unvergesslich bleibt die Mittagsrast im Garten einer sehr ursprünglichen Osteria. Erst um vier Uhr konnten wir uns von diesem gastlichen Ort trennen. Dabei hatte ich noch ein paar Bergkilometer vor mir.


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Helena (die als einzige von uns dreien die Serpentinen im Schnellzugtempo nahm) bei der wohlverdienten Mittagsrast

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Die Kathedrale von Re in der Mitte des Centovalli ist ein Besuch wohl wert

Gegen sechs erreichte ich das Eschental. Es ist zwar besser bekannt als Valle Formazza aber als es noch zur Schweiz gehörte, hiess das Gebiet zwischen Domodossola und Griespass eben Eschental. Die Walliser hatten es im 13. Jh erobert, leider aber nur etwa 5 Jahre halten können. Ein zweiter Versuch im 14. Jh war nicht viel erfolgreicher. Nach der unrühmlichen Schlacht von Marignano fiel dann das Eschental wieder an Mailand.

Mir persönlich machte im Moment der Anstieg nach Iselle zum Simplon-Autoverlad viel mehr Sorge als der Verlust des Eschentals. Die Strecke zum Autoverlad ist recht steil und dann sollte ja noch ein Zug zu geeigneter Zeit fahren. Und wie ich befürchtet hatte, war gerade ein Zug abgefahren und der nächste war in zwei Stnden fällig. Aber da wartete doch noch ein Personenzug. Eher ungläubig fragte ich den Zugführer, ob er mich mitnähme. Das sei kein Problem und Schwupps landete EVA im Vorraum der 1. Klasse. Und so erreichte ich Brig noch zeitig gemug, um den letzten Zug nach Blitzingen zu erwischen. Denn in Blitzingen wartete Karin mit einem schmackhaften Abendessen und natürlich einem warmen Bett..
 
Heute hatte ich Ruhetag. Als ob ich das nötig hätte. Ich glaube DYNAMIK hatte das viel nehr nötig. Aber daraus wurde nichts. Seine liebe Gattin hat ihn zu einer Hochgebirgswanderung zum Aletschgletscher überredet.

Blitzingen, 5. 9. 20

Aletschgletscher

Mit dem Velomobil kommt man fast überall hin aber nicht zum Aletschgletscher. Und den darf man nicht auslassen, wenn man durchs Wallis fährt. Und deshalb war heute Wandern angesagt. Von der Fiescheralp zum Märielensee und dann zum Aletschgletscher. Der Aletschgletscher ist immer noch das grossartigste und das imposanteste Naturwunder, das ich kenne. Auch wenn er jedes Jahr etwas kürzer wird.

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Der Aletschgletscher ist mit seinen 23 km der längste Gletscher der Alpen

Früher war das anders. Da wurde er immer länger und bedrohte Mensch und Vieh. Die Angst der Talbewohner war so gross, dass man eine Delegation nach Rom schickte, um die Genehmigung für eine alljährliche Prozession gegen das Anwachsen des Gletschers zu erhalten. Diese wurde vom Papst auch gnädigst erteilt. Kein Wunder, dass er seitdem bedenklich rasch schmiltzt. Erst vor ein paar Jahren hatte die Kirchgemeinde am Fuss des Gletschers erneut eine Delagation nach Rom geschickt, damit der Gletscher wieder wächst. Wahrscheinlich wird seitdem die Prozession im Gegenuhrzeigersinn durchgeführt.
 
Heute war DYNAMIK richtig sportlich. Sogar sportlicher als er geplant hat. Das kommt von der Vergesslichkeit.

Montalchez, 6. 9. 20

Home again


Heute war ein anspruchsvoller Tag. Ganze 240 km sollten es werden. Natürlich mit einem Start auf 1300 m waren zumindest die ersten paar Kilometer nicht sehr anspruchsvoll. Genau genommen waren es die ersten 150 km. Denn das schwache Gefälle, das man bis zur Mündung der Rhone in den Genfersee hat, macht sich bei einem Velomobil recht angenehm bemerkbar. In diesen 150 km erreichte ich einen Schnitt von 30 km/h.

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Cascade de la "pisse vache"

Pausen gabs nicht viele. Einen kurzen Stopp für die "Cascade de la pisse vache" und eine kurze Irrfahrt im Sumpfwald der Rhonemündung.


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Im Sumpfgebiet der Rhonemündung

Dort im Sumpfwald verzweigt sich der Weg. Nach rechts gehts nach Villeneuve und Lausanne d.h. wo ich hinwollte und nach links nach Evian und Thonon in Frankreich. Früher gehörte Evian, Thonon und das gesamte Chablais nicht zu Frankreich sondern zu uns. Im Zuge der Eroberung der Waadt ist nämlich auch das Chablais mitgekommen, d.h. die Berner und die Walliser haben es Savoyen abgenommen. Und es würde noch heute zu uns gehören, wenn nicht die katholischen Orte der Schweiz gegen die Interessen der protestantischen Orte intrigiert hätten und mit Savoyen eine Allianz gebildet hätten. So quasi ein absichtliches Eigengoal.

In Lausanne gings dann zum letzten mal so richtig bergauf. Dachte ich wenigstens. Denn mein Plan war, EVA in Saint Aubin am Neuenburgersee ins Auto zu laden, das Karin netterweise dort stationiert hatte. Von Saint Aubin gehts nämlich 400 m recht steil den Jura hoch zu unserem Häuschen. Wenn man aber den Autoschlüssel vergisst, nützt auch das schönste Auto nichts. Und so kamen zu den vielen abgestrampelten Kilometern am Schluss noch 400 Höhenmeter dazu.


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Wieder zurück im heimatlichen "Stall" und in guter Gesellschaft mit Liegetandem und Street Machine
 
tolle berichte,
du gibst dir ja ganz schön mühe beim recherchieren, oder weisst du das ganze geschichtliche aus dem FF ?
 
Yepp, tolle Berichte, den EVA Besitzer scheint es irgendwie zu quälen, dass die Schweiz heutzutage flächenmäßig so klein
geraten ist... : )
 
Les Prises, 22.9.2021

Eigentlich hat DYNAMIK für dieses Jahr (wie übrigens schon für das Jahr zuvor) eine ganz grosse Reise geplant. Bis zum südlichsten Punkt von Europa sollte es gehen. Mit der Fähre von Genua nach Tanger, dann zurück nach Gibraltar und von hier aus auf drei Rädern der portugiesischen Küste entlang zurück in die Schweiz. Dieses Jahr liegt es aber nicht am Virus, aber die Wirkung ist die gleiche. Nach Marokko kommt man, aber nicht von Marokko nach Spanien. Denn alle Fährverbindungen nach Spanien sind blockiert. Ueber die Gründe schweigen wir lieber. Ist aber noch lange kein Grund auf eine Langfahrt zu verzichten.

Die erste Idee von DYNAMIK ist bei seiner sonst so grosszügigen Gemahlin nicht gut angekommen. Von Tanger ostwärts bis nach Tunis und dann mit der Fähre nach Sizilien. Ich denke schon die erste Grenze (die nach Algerien) hätte er wohl kaum geschafft. So ist der Not gehorchend ein neuer Plan entstanden mit dem Motto: "Die schönsten Küstenstrassen der Welt". Morgen solls losgehen. Alles ist vorbereitet. Sogar eine Wasserkühlung für meine Trommelbremsen hat Dynamik installiert. Dumm ist nur, dass sie nicht getestet ist.
 
Les Prises, 22.9.2021

Eigentlich hat DYNAMIK für dieses Jahr (wie übrigens schon für das Jahr zuvor) eine ganz grosse Reise geplant. Bis zum südlichsten Punkt von Europa sollte es gehen. Mit der Fähre von Genua nach Tanger, dann zurück nach Gibraltar und von hier aus auf drei Rädern der portugiesischen Küste entlang zurück in die Schweiz. Dieses Jahr liegt es aber nicht am Virus, aber die Wirkung ist die gleiche. Nach Marokko kommt man, aber nicht von Marokko nach Spanien. Denn alle Fährverbindungen nach Spanien sind blockiert. Ueber die Gründe schweigen wir lieber. Ist aber noch lange kein Grund auf eine Langfahrt zu verzichten.

Die erste Idee von DYNAMIK ist bei seiner sonst so grosszügigen Gemahlin nicht gut angekommen. Von Tanger ostwärts bis nach Tunis und dann mit der Fähre nach Sizilien. Ich denke schon die erste Grenze (die nach Algerien) hätte er wohl kaum geschafft. So ist der Not gehorchend ein neuer Plan entstanden mit dem Motto: "Die schönsten Küstenstrassen der Welt". Morgen solls losgehen. Alles ist vorbereitet. Sogar eine Wasserkühlung für meine Trommelbremsen hat Dynamik installiert. Dumm ist nur, dass sie nicht getestet ist.

If you are driving up from Portugal please send me a message when you get near Saint Jean de Luz. Accommodation, hot shower etc. etc. are available.
 
So, den ersten Tag hätten wir überstanden. Ich, EVA, habe mein bestes gegeben. Es ging nämlich fast immer bergab. Jetzt muss nur noch DYNAMIK ein weiches Kopfkissen finden. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wenn man nichts von Hotel-Reservationen hält. Aber das wird er in seinem Tagebuch schon noch erklären

Bourg en Bresse, 23.9.21

Wie heisst es doch so schön im Gedicht über Orgetorix:

.. den Rhodan hinunter zum Meeresstrand.
Wo die Traube reift, wo die Mandeln blühn
Wo des Mädchens schwarzbraunes Auge glüht
Wo nimmer die Schneeflocke fällt.


Cäsar war allerdings nicht ganz einverstanden mit dieser Idee der Helvetier und setzte 58 v. Chr. bei Bibracte diesem Vorhaben ein jähes Ende. Deshalb haben wir Schweizer kein Meeranschluss. Und da wir dieses Trauma von Bibracte nicht überwunden haben, träumen wir ständig von den sonnigen Sandstränden Südfrankreichs. Und deshalb habe ich mich heute morgen mit meinem Velomobil auf den Weg dorthin gemacht.

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Meine liebe Gattin hat mich und mein Velomobil liebenswürdigerweise mit dem Auto auf den Col des Etroits (bei Sainte Croix) gefahren und so konnte ich gemütlich die Jura-Westflanke runterfahren in die Ebene von Bresse. Die Strasse führt - zumeist mit leichtem Gefälle - über Pontarlier, Champagnole nach Lons-le-Saunier, wo der erste Verpflegungshalt fällig war.

Ich hatte noch nicht einmal die Schokolade ausgepackt, da kommt schon eine junge Dame und will den Preis des Velomobils wissen. Aber ich kenne den Trick. Kaum hat man einen Preis genannt, heisst es, dann könnte ich ihr schon etwas Geld geben. Darauf falle ich nicht mehr rein. Dann kommt ein junger Mann und der will wissen wo ich hinfahre. Ich erklär ihm die ganze Reise. Da will er mir tatsächlich noch zwei Euro schenken für meine lange Reise. Ich bin ganz gerührt.

Der erste Tag einer Langfahrt mit dem VM ist immer der schwierigste. Ich mache mir über alles mögliche Sorgen und überlege mir, was ich wohl alles vergessen haben könnte. Sechs Ersatzschläuche, zwei Ersatzpneu, Ersatzspeichen und ein Carbon-Reparaturset habe ich eingepackt. Sogar die Wasserkühlung für die Trommelbremsen habe ich im letzten Moment noch eingebaut. Eigentlich sollte ich für alle Notfälle gerüstet sein.

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Gegen 17 Uhr - nach 160 km - erreiche ich Bourg en Bresse und befasse mich mit der Hotelsuche. Aber alle Hotels waren wegen eines Kongresses voll. Da spricht mich eine junge Dame auf einem Fahrrad an und will alles über mein Velomobil wissen. Wegen der Uebernachtung müsse ich mir keine Sorgen machen, meinte sie, sie hätte einen Freund und der hätte einen Camper. Und so bekomme ich ganz unerwartet eine Uebernachtung und auch ein feines Abendessen. Auf Fahrradfahrerinnen ist doch Verlass.

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Heute war ein richtiger Flusstag. DYNAMIK mag Flüsse, denn die fliessen immer bergab. Uebrigens, Geschwindigkeitsangaben bei Velomobilisten gelten in der Regel nur für flache bis leicht geneigte Strecken mit absolut perfektem Asphalt. Soviel zur nächsten Tagebuchseite.


Tournon sur Rhône, 24.9.21

In den Niederungen schweben noch Nebel über dem nassen Gras, während ich bei aufgehender Sonne gemütlich von Bourg en Bresse in Richtung Lyon gleite. In der ersten halben Stunde fahre ich jeweils bewusst etwas langsam - so etwa 25 km/h - damit sich der Körper an die Bewegung gewöhnen kann. Langsam steigere ich das Tempo und erreiche bei ebener Strasse und gutem Belag eine Geschwindigkeit von 35 km/h.

Zwischen Bourg en Bresse und Lyon durchfährt man eine Ebene mit hunderten kleiner Seen. Nur sieht man nichts davon, wenn man auf der Hauptstrasse (D1083) bleibt. Zudem hat es vielzuviele Lastwagen. In Villars-les-Dombes wechsle ich auf eine Nebenstrasse, die mich durch ein wunderschönes Waldgebiet und an vielen Weihern und Seen vorbei zur Saône bringt.

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Der Saône entlang geht es südwärts und gegen Mittag erreiche ich - nachdem ich mich eine halbe Stunde zwischen stinkenden Lastwagen durchgeschlängelt habe - das Zentrum von Lyon. Vieux Lyon ist immer wieder ein Besuch Wert. Während ich mich mit Kebab und Coca-Cola erfrische, fragt mich tatsächlich eine junge Dame, ob ich mein Velomobil gegen Geld ausmiete. Ideen haben die Franzosen.

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Weiter geht's dem rechten Rhoneufer entlang Richtung Süden. Die Veloroute führt zumeist dem Rhoneufer entlang und wäre an sich hübscher gewesen als die Strasse, doch man kommt auf diesen Velorouten einfach nicht so richtig vorwärts. Die für Autos gebauten Strassen sind für Velomobile irgendwie besser geeignet.

Gegen sechs Uhr - nach 165 km - erreiche ich das hübsche mittelalterliche Städtchen Tournon sur Rhône und diesmal finde ich sogar ein Hotel mit einem freien Zimmer für mich. Für die Schlossbesichtigung war es dann doch etwas spät, doch die Reiseführerin des Schlosses nahm sich extra für mich noch zehn Minuten Zeit, um mir zu erklären, dass dies kein Château sondern eine Seigneurie sei.

Auf der Rhone an der Anlegestelle vertäut schauckelte ein riesiger Kahn mit der Beschriftung "Bed and Bicycle". Im unteren Deck hatte es Kabinen mit weiss bezogenen Bettchen und im oberen Deck fein gedeckte Tische. Fahrräder waren in einem Container verstaut. Ob die wohl auch Velomobile führen?

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Danke, dass Du uns wieder mit einem Deiner Reiseberichte beehrst!

Während ich mich mit Kebab und Coca-Cola erfrische, fragt mich tatsächlich eine junge Dame, ob ich mein Velomobil gegen Geld ausmiete.
Was für ein fürchterlicher Fauxpas! Aber die Dame konnte ja unmöglich ahnen, dass es sich bei dieser gelben Schönheit welche mit "Ziegler" beschriftet ist um Eva handelt, denn dass Even vermieten in dem Land woher Du herkommst als Zuhälterei geahndet wird, hätte sie sich sicher vorstellen können und dann so eine unverschämte Frage wohl kaum ausgesprochen!
 
Heute ist Dynamik richtig sportlich gewesen. 231 km haben wir geschafft mit einem Schnitt von 28 km/h, in der letzten Stunde sogar 35 km/h. Ich glaube, die Angst, kein Hotel zu finden, hat ihm zusätzlich Schub gegeben. Zudem waren nicht alle Strassen reglementskonform. Die mit dem blauen Auto im weissen Kreis wohl eher nicht.


Les Saintes Maries de la Mer, 25.9.21

Heute wollte ich unbedingt das Meer erreichen. Die 230 km sollten doch zu schaffen sein. Berge hat es ja keine mehr. So fuhr ich - nach einem reichlichen Frühstück - gegen neun Uhr in zügigem Tempo südwärts. Die Strasse folgte der Rhone und führte durch zahlreiche gut erhaltene ältere Dörfer. Die grösseren Städte wie Valence oder Montélimar (berühmt für Nougat) liegen zum Glück auf der anderen Seite der Rhone. In einem Dörfchen kommt mir tatsächlich ein weisses Velomobil entgegen. Das ist so etwas seltenes wie eine Sonnenfinsternis. Ich stoppe sofort doch das weisse Velomobil fährt einfach weiter. Ich bin richtig enttäuscht.

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Mittagessen gibt es erst nach 130 km in Oranges neben dem berühmten Amphitheater. Für einen Besuch der römischen Sehenswürdigkeiten reicht die Zeit allerdings nicht. Weiter geht's südwärts dem Meer entgegen. Die Strasse wird breiter und teilweise sogar zweispurig in jede Richtung. Ob das wohl gut geht? Zum Glück kommt ein Wegweiser "Avignon - Centre Ville". Da darf ich sicher fahren und erst recht innerhalb der Stadtmauern, denn da dürfen die Autos nicht fahren. Beim Papst-Palast werde ich von einer ganzen Schar junger Leute umringt und alle wollten ein Foto machen. Dafür ist jetzt meine schöne Glaskuppel voller Fettpfoten.

Von Avignon in Richtung Arles nehme ich zuerst ganz brav die Veloroute, doch die ist mühsam und führt doch nur zum Gare TGV. Ich wechsle auf eine schnellere Strasse mit zwei Spuren pro Richtung und erreiche kurz nach fünf Uhr Arles. Arles darf man nicht auslassen. Hier gibts ein Glässchen Weisswein und ein Liter Mineralwasser (nicht umgekehrt!).

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Nun kommt der schönste Abschnitt. Hier beginnt nämlich die Camargue. Schon sieht man die ersten weissen Pferde und im Schilf stehen unzählige Flamingos. Viel Zeit zum Verweilen habe ich allerdings nicht, denn ich muss noch ein Hotel finden. Die 30 km zwischen Arles und Les Saintes Maries de la Mer schaffe ich unter einer Stunde und finde auch tatsächlich ein Hotel mit einem freien Zimmer und ein feines Abendessen neben der Wallfahrtskirche. Ab morgen nehm ich es dann gemütlicher.

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Du fährst zu spät los, 9 Uhr, da könntest du die ersten 100 km schon runter haben.
 
Du fährst zu spät los,
Tja, das mit dem Frühaufstehen. Hat mir mein Onkel mit der Geschichte vom Kasper, der bereits um fünf Unr unterwegs war und prompt ein Goldstück auf der Strasse gefunden hat, beibringen wollen. Hab ihm gesagt, dass derjenige, der es verloren hat, noch früher aufgestanden sei.
 
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