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Immer diese Jugend! Schrecklich!
Aus der Entomologischen Zeitschrift, 1. Jahrgang 1888, No. 12, 1. März 1888, die mir gerade in die Hände fiel, gibt's auch online, paar Fehler ausgebügelt.
Ein Wort
über die sammelnde Jugend.
Von Illgner (422,)
In dem Referate aus dem »Entomologist« in No. 6
und der Uebersetzung in No. 7 der »Entomologischen
Zeitschrift« von Herrn Professor Pabst wird dem la-
sekten-, besonders Schmettelingssammeln von Knaben
das Wort geredet. Im Anschlüsse hieran sei es mir
gestattet, eine kleine Betrachtung über unsere sam-
melnde Jugend anzustellen und meine Ansicht über die
Sache hier offen auszusprechen.
Es ist nicht zu leugnen, dass grade das Sammeln
von Schmetterlingen für den Knaben grossen Reiz hat.
In ungebundener Lust durcheilt er Feld und Wiese,
Wald und Flur, um die farbenprächtigen Falter zu
haschen, ohne daran zu denken, wie oft er hierbei gegen
das Feld- und Forstpolizeigesetz verstösst und wie leicht
er mit demselben in nachhaltige Collision gerathen
kann. Nicht in Abrede zu stellen ist ferner, dass die-
jenige Wissenschaft, welche — sei es auch nur aus
Liebhaberei — schon in der Jugend gepflegt wird, im
Jünglings- und Mannesalter viel bessere Früchte zei-
tigt, als diejenige, der man sich erst in späteren Jahren
ergiebt. Was eben ein Haken werden will, krümmt
sich bei Zeiten. Nicht zu leugnen ist endlich die er-
ziehliche Seite, welche das Sammeln von Insekten u.
a. m. besitzt, und doch — doch muss ich mich als
Pädagoge dagegen aussprechen, dass man die hebe
Jugend grade beim Sammeln von Schmetterlingen so
ohne Weiteres gewähren und sie hierbei sich selbst
überlasse.
Sehen wir uns einmal so einen jungen Schmetter-
lingsjäger, wie er uns täglich bei unseren Spaziergängen
oder Ausflügen in der warmen Jahreszeit begegnet,
näher an! Mit Netz und Nadeln, im besten Falle auch
noch mit einem Aetherfläschchen bewaffnet, zieht er
aus. Alle Falter, die ihm zusagen, werden, nachdem
er ihnen die Brust eingedrückt oder nachdem er sie
mit Aether betäubt, gespiesst und — dies ist die Kehr-
seite — lange, lange windet sich das gequälte Thier,
das ja doch auch ein mit Gefühl im weiteren Sinne
begabtes Geschöpf Gottes ist, im Todesschmerz. Stolz
auf seinen Fang steckt der Knabe die armen Thiere
an seine Kopfbedeckung, ohne sich weiter um die
schmerzlichen Zuckungen und Windungen der gequälten
Geschöpfe zu kümmern. Zuhause angelangt, werden
die bedauernswerthen Thiere, besonders die dickleibigen
Falter, noch lebend aufgespannt. — Das ist gradezu
schrecklich. Vor Thierquälerei warnt die Schule, für
Thierquälerei setzt es Polizeistrafen und gerichtliche Be-
strafung — hierbei scheint man nur an die höher or-
ganisirten Thierklassen zu denken — die kleinen Schmet-
terlingsjäger aber lässt man nach Herzenslust gewähren,
trotzdem grade diese die Thierquälerei in grossem Mass-
stabe betreiben. — Es giebt wohl manchen Vater, der,
trotzdem er er der ärgste Gegner der Vivisektion, trotz-
dem er womöglich Mitglied eines Thierschutzvereines
ist, sich über den »wissenschaftlichen Trieb« oder das
unschuldige Vergnügen« seines Erstgeborenen herzlich
freut, den er, da er selbst von den Schmetterlingen
nichts »versteht,« ohne Weiteres gewähren lässt, ohne
zu bedenken, dass der gequälte Schmetterling den
Schmerz grade so empfindet, wie der Hund und die Katze.
Ich leide durchaus nicht an sentimentalem Welt-
schmerz, finde es aber gradezu unerklärlich, wie Eltern
nur zu oft solche Grausamkeiten dulden oder gar noch
gutheissen und unterstützen können, wo ungebrannte
Asche in gehöriger Portion am Orte wäre. Man wende
mir nicht ein, dass man ja dem Knaben ein Fläschchen
mit Cyankalium und eines mit Nikotin verschaffen könne.
Gift in den Händen der Jugend ist und bleibt ein ge-
fährliches Ding. Sonach müsste man ihr, von der ja
das Sammeln von Schmetterlingen meistens ohne alle
wissenschaftliche Basis und nur aus Zeitvertreib — zur
Erholung — eben nur um zu sammeln, betrieben wird,
dieses gradezu verbieten und das Zuwiderhandeln be-
strafen, ebenso wie man den Knaben für das Plündern
eines Vogelnestes bestraft. Nur bedingungsweise, das
ist meine heiligste Ueberzeugung, darf den Knaben das
Sammeln von Schmetterlingen gestattet werden, nämlich
nur unter Anleitung und Aufsicht eines Er-
wachsenen, der selbst wenigstens einige Sachkennt-
niss besitzt, und dessen Pflicht es dann sein wird, alle
und jede Thierquälerei zu verhüten. — Ist der Knabe
gegen die Todeszuckungen eines Falters erst gleich-
giltig geworden, so stumpft er in dieser Hinsicht schliess-
lich ganz ab, und in seinem gereiften Mannesalter wird
ihm der Schmerz der von ihm gequälten Thiere erst
recht gleichgültig sein.
Im verflossenen Sommer machte ich am Czorba-See
in der hohen Tatra die Bekanntschaft eines Schmetter-
lingssammlers, eines liebenswürdigen, freundlichen Alten.
Ich besah mit Lust und Freude in seiner Privatwohnung,
in die er mich führte, die von ihm gemachte reiche
Beute ; aber heiss durchzuckte es mich, als er mir seinen
letzten Fang zeigte, der sich — noch ungespannt —
in einer Kiste befand. Einige Falter waren nur be-
täubt gewesen und an den Nadeln wieder aufgelebt —
ohne dass sie der Herr mit etwas Nikotin von ihren
Todesqualen befreit hätte. Auf meine Bemerkung : » Herr
Professor, einige Thiere leben ja noch!« antwortete er
mit der grössten Seelenruhe: »Das schad't nix!« Ich
schwieg dem Greise gegenüber. 0, hätten die armen
Thiere Schmerzenslaute ausstossen können, der biedre
sonst wirklich liebenswürdige Alte, wäre gewiss anderer
Meinung geworden! — Soviel hinsichtlich der Schmetter-
linge.
Eher kann man schon meines Erachtens den Knaben
in ihren Freistunden das Sammeln von Käfern gestatten.
Ein Fläschchen mit Spiritus ist kein Gift, in ersterem
aber werden alle Käfer ohne Ausnahme sehr rasch vom
Leben zum Tode befördert, ohne dass hiermit eine
Thierquälerei verbunden wäre. Jedoch dürfte es auch
hier von nicht zu verkennendem Nutzen sein, wenn der
jugendliche Sammler von einem Erwachsenen, der von
der Sache etwas versteht; angeleitet würde, wie, wo
und wenn jener die beste Beute machen könnte, wie
man die Käfer tödtet, präparirt und aufbewahrt. Auch
ein Bischen Systematik wird eher in dem Gedächtniss
des Knaben haften, wenn er hierin die nöthige An-
leitung erhält, viel eher und leichter, als wenn er als
Autodidakt erst mühsam alle und jede Kenntniss und
Erkenntniss erringen muss.
Vor Allem aber ist hierzu nöthig, dass der Knabe
nebenbei auch in scientia amabile, der Botanik, An-
leitung erhalte. Die Elementarschule und selbst das
Gymnasium kann hierin bei der geringen Stundenzahl,
die hierfür angesetzt ist, verhältnissmässig nur wenig
leisten, und doch ist dem Sammler von Lepidopteren
und Coleopteren u. s. w., besonders dem ersteren, dieser
Wissenszweig gradezu unentbehrlich , wenn er nicht
blos sammelt, um eine farbenprächtige Sammlung zu-
sammenzubringen und daran seine Augenweide zu haben,
oder um »Geschäfte« zu machen, sondern wenn ihm
die Wissenschaft an und für sich — was ja doch ein
für allemal für den gebildeten Privatmann, abgesehen
von Fachgelehrten, der Fall sein sollte — der Zweck
des Sammelns ist. Bios zu sammeln, um eine schöne
farbenprächtige Sammlung zusammenzubringen, ist
meines Erachtens ein recht kleinlicher Zweck, ein Zweck,
wie ihn die Sammler von Spazierstöcken, Schnupf-
tabaksdosen, Cigarrenspitzen und Tabakspfeifen sich zum
Ziel setzen. Kann schliesslich ein solcher Sammler die
Befriedigung erlangen, die demjenigen zu Theil wird,
welcher sich die Wissenschaft selbst zum Zwecke setzt ?
Nein, und abermals nein ! Deshalb wiederhole ich noch-
mals die Forderung.
Man unterweise den jugendlichen Insektensammler
auch in der Botanik, die ja an und für sich schon
selten schöne Reize gewährt. Die Synopsis von Botanik
ubd Entomologie wird ihm im Mannesalter bei den
biologischen Studien eine grosse Stütze sein, wird ihn
überhaupt erst dazu befähigen, der Mutter Natur hinter
die Coulissen zu gucken und ihre Geheimnisse zu be-
lauschen.
Ich bin mir zwar bewusst, dass nicht jedermann
meine im Vorstehenden entwickelte Ansicht theilen,
dass vielleicht dieser oder jener sie belächeln oder gar
albern nennen wird, ich weiss auch, dass ich für manches
hartgesottene Herz die Stimme des Rufenden in der
Wüste bleiben werde ; doch soll es mir ein süsser Lohn
sein, wenn wenigstens einige verehrte Leser dieser
Zeilen, besonders diejenigen Mitglieder, welche Lehrer
und Erzieher sind, meine Winke, wenn sie es nicht
schon aus eigenem Antriebe gethan, befolgen wollten.
Eine wahre Freude war es mir neulich, als bei einer
Lehrerconferenz während der Debatte über Thierquälerei,
begangen durch die Schuljugend, das Sammeln von
Insekten seitens der Jugend ohne Aufsicht und Anlei-
tung einstimmig verurtheilt wurde. Noch grössere
Freude aber würde mir zu Theil, wenn ich die Ueber-
zeugung gewinnen dürfte, dass auch ausserhalb des
Lehrerstandes meine vorstehende Auseinandersetzung
ein kleines Samenkörnlein geworden ist, das auf guten
Boden fiel.
Aus der Entomologischen Zeitschrift, 1. Jahrgang 1888, No. 12, 1. März 1888, die mir gerade in die Hände fiel, gibt's auch online, paar Fehler ausgebügelt.