Aerodynamik der Radkästen

Beiträge
5.875
Das Thema der Strömungverbesserung an den Radkästen taucht ja immer mal wieder auf, vor allem natürlich die Frage, wie man diese Problemzone verbessern kann. Klar, Deckel drauf und sich freuen ... ist aber nicht immer erwünscht. Und bei Rekordfahrzeugen wohl auch nicht mehr ausreichend.

Es gibt ein paar bekannte Maßnahmen, nicht zuletzt an den langsameren / älteren VMs, die ja oft eher große Radkästen haben. Die würde ich hier gerne zusammenfassend diskutieren. Außerdem interessieren mich grundsätzliche Untersuchungen zum Verständnis der Strömungsverhältnisse an den Rädern - experimentelle wie theoretische. Auch wenn Ergebnisse dazu eher aus dem Automobilbau kommen - wenn man grundsätzlich versteht, wie die Luft strömt, kann man auch bei VMn gezielt Verbesserungen gestalten.

Bisher wurden z.B. im Mango-Faden oder aktuell hier am Beispiel eines AW4 mit einfachen Mitteln merkliche Verbesserungen erzielt. Mir geht es darum, die Lösungen zu sammeln und vielleicht auch, ein bisserl besser zu verstehen, was da genau passiert.
 
Weil ich mich ja immer auch für die Theorie ineressiere, hier erstmal ein paar Darstellungen dessen, was grundsätzlich passiert. Hier z.B. eine der wenigen frei verfügbaren Arbeiten: https://www.mdpi.com/1996-1073/12/17/3340#

energies-12-03340-g008.png


Hier eine ältere Arbeit: https://www.researchgate.net/public...low_Around_a_Simplified_Wheel_in_a_Wheelhouse

(und jetzt hab ich erstmal viel Lesestoff zu verdauen).
 
Zuletzt bearbeitet:
Und weil ich "dank" des Lockdowns immer noch nicht zur Ruhe komme, zitiere ich mal aus der obigen Arbeit von 2017; die Bezeichnung der Wirbel stimmt mit dem Bild aus dem vorvorigen Beitrag überein.
Es geht um eine schematische Beschreibung des Strömungsmusters um ein rotierendes Rad in einem Radhaus:

<quote>
It has been found from simulations by Regert et al [2], and also verified in the present work, that the majority of the flow entering the wheelhouse cavity does so using the bottom entrance. From here on, the interaction of flow with the wheel and wheelhouse results in the formation of a system of vortex structures. These vortex structures, identified using techniques that will be discussed in Section 3.3, are described below:

  1. The flow entering the wheelhouse cavity from the bottom, experiences a suction at the corner, which results in the flow rolling about the axis parallel to the wheel, forming the H vortex (figure 2.3a).
  2. A part of the H vortex flows to the top of the wheelhouse cavity. The low pressure region present on top of the wheel results in the flow exiting the wheelhouse cavity from th top, forming A vortex (Figure 2.2c and 2.3a).
  3. Another part of the flow entering the wheelhouse cavity as the H vortex, experiences a suction along the inner edge of the wheel. The low pressure deflects the H vortex, which then travels along the side cavity as the E vortex (Figure 2.2c and 2.3b).
  4. The flow travelling along the side cavity recirculates due to the presence of the wheel- house wall and exits the wheelhouse cavity from the bottom, forming the B vortex (figure 2.3b).
  5. The approaching boundary layer along the side of the vehicle, separates from the leading edge of the wheelhouse arch forming the C vortex (refer figure 2.4). A good representa- tion of C vortex is also found in figure 6.8 and figure 6.10 in Chapter 6.
  6. The flow separates from the leading edge of the wheel, forming a tip vortex (C1) (Figure 2.2b). The flow exiting the wheelhouse cavity separates at the trailing edge of the wheelhouse arch (refer figure 2.2b and figure 2.3a). This forms the S vortex.
</quote>

Um das mal auf deutsch zusammenzufassen:

Am umströmten Rad bilden sich Verwirbelungen aus, die i.w durch 11 Einzelwirbel beschrieben werden können:
  1. Die Strömung, die (hauptsächlich?) von unten in den Radkasten einströmt, bildet hinter dessen Vorderkante den (Walzen)wirbel H.
  2. Ein Teil dieser Strömung fließt nach oben und bildet kurz vor dem Scheitelpunkt des Rads den Wirbel A
  3. Ein anderer Teil des Wirbels H wird an der Innenseite des Rads nach hinten gesaugt und tritt dann in Form des Wirbels E nach unten aus. (Das setzt voraus, dass das Rad innen glatt ist. Was passiert, wenn das Rad innen nicht glatt ist, sondern z.B. Speichen hat?)
  4. Die Strömung entlang der Innenfläche des Radhauses formt den Wirbel B, der oben an der Rückwand des Radkastens austritt.
  5. An der Vorderkante des Radhauses Bildet sich der Wirbel C
  6. An der Vorderkante des Rades bildet sich ein Wirbel ähnlich wie C ("C1"). An der Hinterkante des Radhauses bildet sich der Wirbel S.
Wenn ich mir das so anschaue und die Darstellung richtig interpretiere, strömt die Luft vor allem von unten in den Radkasten. Daher müsste die erste Maßnahme sein, ihn von unten zu schließen?

Beim Go3 sind die Radkästen vorne unten so weit eingezogen, dass die Strömung einen direkten Weg seitlich an der Karosserie vorbei in den Radkasten hat. Das dürfte die Form des Wirbels H veraändern; ich würde erwarten, dass er etwas nach oben gezogen wird. Außerdem müssten sich die Wirbel verstärken, die sich von der Vorderkante des Rads ablösen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ich mir das so anschaue und die Darstellung richtig interpretiere, strömt die Luft vor allem von unten in den Radkasten. Daher müsste die erste Maßnahme sein, ihn von unten zu schließen?
Später in der Arbeit wird diese Idee bestätigt; dies wurde bereits früher untersucht: http://152.66.21.25/neptun/BMEGEATMG01/2016-2017-II/labor/H04_irodalom/16_Regert2006.pdf

"The change in drag and lift of the wheel on closing the bottom opening was found to be more significant than the closure of the side opening."

Der Autor untersucht dann noch den Einfluss des Radius des Radkastens und schlägt auf basis seiner Ergebnisse abschließend folgendes vor (Einströmung von links), leider ohne die Idee weiter zu untersuchen (ok, das war ja auch "nur" eine Masterarbeit, also zeitlimitiert):

Radkastenform_optimiert.png
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Beate, das mal richtig zu machen, wäre die grösste CW-Wert-Verbesserung eines VM. Zu beachten ist auch, dass nicht nur die Reifen, sondern auch die Radscheiben beim Drehen des Rades starke Wirbel erzeugen können. Wenn die Radscheiben aussen nur verwendet werden, werden die Wirbel des drehenden Rades auf den Unterboden und im schlimmsten Fall auch auf die Seitenflächen gelegt. Ich habe bei mir beidseitig Radscheiben an jedem Rad (und Slickreifen) angebracht. Dabei entstehen aber auch Wirbel, weil die Radscheiben wohl Dellen haben. Meine Idee wäre entweder den Radkasten mit Hosen komplett zu schliessen, dann habe ich aber noch aussen eine nahe Begrenzungsfläche, welche den cW-Wert des drehenden Rades noch weiter verschlechtert (den cw-wert des VM aber trotzdem verbessert). Letztlich muss der Radkasten so geformt werden, dass er die Wirbel auffängt und dann über den Unterboden an diese Stellen über spezielle Strömungsformen ableitet, wo es mit einer hohen Stromungsgeschwindigkeit nützlich wäre, um z.B. Löcher zu überströmen (über Naca-Duct) oder Luft aus dem Innenraum abzuziehen (über Mandel),...
 
Hallo @beate ,

Die Abbildung oben und ich vermute auch die Arbeiten, die Du gefunden ich aber noch nicht gelesen habe, beziehen sich auf Kraftfahrzeugreifen und deren Radläufe.
Die sind breiter und unten gibt es auch mehr Angriffsfläche auf den Reifen.

Ein Fahrradreifen bietet da weniger Angriffsfläche, dazu trifft die anströmende Luft auf einen Keil, den sie umströmen kann.
Alle Kräfte sind vermutlich um ein vielfaches geringer.

Vermutlich würde es schon etwas bringen Radscheiben statt nur außen auch innen anzubringen um die Verwirbelung die durch die Speichen entsteht auszuschalten.

Es währe interessant herauszumessen ob ein so präparierten Rad auch in einem geschlossenen Radkasten einen positiven Effekt hat.
 
Mit dem Festmachen der Radscheiben an den Speichen, kann man sich schnell mal eine Delle hineinmachen. Und das ist dann kontraproduktiv. Ein mit sog. Hosen geschlossener Radkasten, hat bei den Rennfahrzeugen noch zusätzlich Unterhosen. Die Unterhosen können zwar die Wirbel vom Hauptkörper fernhalten, so dass sich der CW-Wert des Hauptkörpers stark reduziert. Allerdings hat man dann auch sehr enge Begrenzungsflächen innerhalb des Radkastens, so dass man sich mit den Wirbeln des Reifens den CW-Wert des Reifens stark verschlechtert. Hier hilft dann nur 1. Slickreifen und 2. beidseitig 100% planare Radscheiben. Und das ist nicht alltagstauglich.
 
CAS hatte sich damit auch auseinandergesetzt: Alter Faden Ich erinnere mich an einen langen Faden zu seinem Einspurer, er hatte die Räder beidseitig verkleidet, die Öffnungen minimiert und noch weitere Details optimiert.
 
Bei der Frage musste ich direkt an den neuen Radkasten vom Snoek denken. Snoek-Faden . Ich hab einen ähnlichen Ansatz bei mir im beruflichen Umfeld gesehen mit der sogenannten FlowerPlate. Da wurden runde Multititerplatten auch in Blumenform geändert um eine bessere Durchmischung mit Verwirbelung zu erreichen. Beim Snoek könnten sich dann genau loalisierte Wirbel bilden und so ggf. den Widerstand und Luftaustausch im Radhaus verringern.

Sowas wäre als mit Motor angetriebenes Rad im Windkanal mal total spannend im Vergleich zu "normalen" Radkästen
 
Das mit den FlowerPlate erinnert mich an High-End-Lautsprechergehäuse, welche man auch mit so einer Blumen-und Muschelform baut.
 
Alle Kräfte sind vermutlich um ein vielfaches geringer.
Klar. Unsere Antriebskräfte aber auch ;-)

Und natürlich kann man die Verhältnisse zwischen schmalen und breiten Reifen nicht 1:1 übertragen. Es geht (mir) hier darum, erst mal eine Idee davon zu bekommen, was überhaupt passiert. Und dann kann man je nach Situation unterschiedlich damit umgehen: für jemanden, der ein VM konstruiert und damit vollen Zugriff auf die Gestaltung hat, sicher anders als für jemanden, der mit mehr oder weniger Aufwand ein bestehendes Fahrzeug verbessern möchte. Und auch da kann es ganz unterschiedlich ausgehe, wenn ich mit möglichst einfachen und billigen Mitteln an den vergleichsweise riesigen Radkästen von AW oder Go3 rumbastle oder ein bestehendens bereits gutes Fahrzeug weiter optimieren möchte. Diese möglicherweise doch sehr unterschiedlichen Anwendungssituationen sollte man m.E. immer im Hinterkopf behalten.

Was ich beim Durchforsten der Literatur übrigens auch schon lernen durfte: es gibt starke Wechselwirkungen. Eine Verbesserung am Vorderrad kann u.U. am Hinterrad so viel ausmachen, dass es in der Summe schlechter wird.

Ein Fahrradreifen bietet da weniger Angriffsfläche, dazu trifft die anströmende Luft auf einen Keil, den sie umströmen kann.
Stimmt schon. Aber sowas wie der Walzenwirbel an der Vorderkante des Radkastens, der ja maßgeblich die Luft in den Radkasten hineinziehen dürfte, kann sich hinter den schmalen Rädern prima ausbilden, auch wenn die Fuge zwischen Rad und der Vorderkante des Radkastens schmal ist. Das ist sie halt nur auf den 3cm, die das Rad breit ist. Hier sieht man ganz gut, was ich meine:

index.php


bezofen auf mein Rad bedeutet das natürlich, dass ich zunächst mal zusehen sollte, dass da möglichst wenig Luft in die Radhäuser einströmen kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier sieht man ganz gut, was ich meine
Der Radkasten ist für ein schnelles VM zu groß. Ich denke mal der Konstrukteur hatte dem Luftwiderstand einem kleinen Wendekreis vorgezogen.

Die bekannten Hosen sind schon eine so enorme Verbesserung.

Aufwand und Nutzen ist zu beachten, außer in der Grundlagenforschung, denn da kommt der Nutzen vielleicht erst Jahrzehnte später.

Unser größter Feind ist der Rollwiderstand.

Ein Fahrrad Reifen dessen Lauffläche geformt wie ein PKW Reifen sein würde, würde diesen vermutlich im 2 Stelligen Prozentbereich verringern. Solche Reifen sind halt nur interessant für mehrspurige Fahrräder und da ist der Markt noch zu klein.

Aber hier soll es ja um Aero gehen.
Bin gespannt wann die ersten Ideen gebaut und dann ausgerollt werden.

Beim RR brachte jeder Cm meiner Körperlage durch entfernen der Spacer am Lenker 1 Km/h durchschnittsgeschwindigkeit.
Unsere VM liegen zu hoch. Auch da ist halt ein Kompromiss notwendig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Radkasten ist für ein schnelles VM zu groß. Ich denke mal der Konstrukteur hatte dem Luftwiderstand einem kleinen Wendekreis vorgezogen.
Durch den Wind müssen sie alle. Und bei den langsamen VMs dominiert der Luftwiderstand. Beim Rollwiderstand gibt es ka keine Unterschiede, wenn man jeweils gleiche Reifen betrachtet.
 
Sicher kann man unten mit einer passend zugeschnittenen Platte etwas zumachen.

A0C2C2BF-0DD6-4C84-9D36-1F2DFA4ABD22.jpeg

Und es könnte sich auch auszahlen, wenn man mal Spurstange und Querlenker kürzer stellt, so dass das Rad etwas tiefer im Radhaus steht. Zu tief drin ist vermutlich deutlich weniger schlimm, als zu weit draußen.

Dann kann man den Spalt zwischen Lauffläche des Reifens und Radhaus weitgehend „zumeufln“. Wenn es stellenweise mal berührt bei der Fahrt, verliert halt die Meuflung und der Reifen fräst es mittelfristig perfekt passend.
 
Sicher kann man unten mit einer passend zugeschnittenen Platte etwas zumachen.
Dann kann man den Spalt zwischen Lauffläche des Reifens und Radhaus weitgehend „zumeufln“.
Genauso hatte ich das ja angedacht. Besonders vorne wird man wohl XPS oder EPS einpassen und von außen in der Kontur anpassen - die Radhäuser sind so weit nach innen eingezogen, dass sonst zuviel Luft in die Radkästen kommt. Beim Alleweder ist das einfacher. Bei den aktuellen Temperaturen kann ich aber nicht mehr als Versuche mit Pappe und Klebenband zu unternehmen, und auch aussagefähige Testfahren gehen zur Zeit nur eingeschränkt.

Wenn ich die zitierte Arbeit richtig verstehe, sollte es reichen, den Lufteinlass zuzumachen. Im hinteren Teil des Radkastens könnten andere Maßnahmen notwendig werden, die eher das Ziel haben, die Verwirbelung der austretenden Strömung zu schwächen.

Interessantes Teilergebnis der Studie ist übrigens, dass die gezeigten Verwirbelungen bereits bei kleinen Geschwindigkeiten auftreten, da halt nur weniger stark wirken.
 
Zurück
Oben Unten