Es ist die Durchsetzung der Regeln, nicht die Überwachung
...ich gehe darauf noch einmal ein, weil die Frage, wie man Autofahrern und ihren Ausreden beikommen könnte, für Radfahrer und ihr Überleben elementar ist:
Als ich von Konstanz vor 35 Jahren erwerbstechnisch auf die schwäbischen Fildern umzog, fiel mir ein großer Unterschied im Verhalten der Autofahrer sofort auf - die meisten fuhren noch weit nach dem Umschalten auf Rot über die Kreuzung, indem sie sogar zusätzlich Gas gaben, also noch schneller fuhren als eh schon.
Wahrscheinlich ist diese Unsitte im innerstädtischen Bereich wie zum Beispiel Stuttgart entstanden, wo solches Verhalten bei den täglichen Stausituationen zu fast 100 % unfalltechnisch folgenlos blieb. Schließlich geht/ging in Stuttgart auf den Gehwegen und über Kreuzungen niemand freiwillig zu Fuß, genauso wenig, wie es in Stuttgart auch nur einen einzigen Radfahrer gab. Bis auf mich.
Außerhalb der Stadt war dieses Risiko natürlich größer - aber einmal antrainierte Unsitten lassen sich kaum aus den Köpfen bringen. "Es ist mir ja bisher nichts passiert, ich habe das im Griff.". Als ich 12 Jahre später wieder nach Konstanz zog, war dieses Verhalten auch dort angekommen. Wie eine Seuche, ein Virus im Autofahrerkopf (diese Viren gibt es auch bei Radfahrern, so ehrlich muss man sein).
Negative Rückmeldungen über Blitzer gab es damals noch nicht, als Radfahrer war ich, wie beschrieben, sehr einsam unterwegs.
Ohne Blitzer - also ohne Kontrollmöglichkeit, ohne Überwachung - war dieses Problem nicht in den Griff zu bekommen. Ist es in Wahrheit auch nicht, solange nicht an jeder Ampel Blitzer stehen. Und selbst an Ampeln mit Blitzer siegt die aggressive Respektlosigkeit gegenüber den potentiellen Opfern, weil man weiß, dass nicht jeder Blitzer blitzt. Je größer und unangreifbarer die Karre, desto eher nimmt man das Restrisiko für sich selbst locker und immer selbstverständlicher in Kauf.
Ergo:
Ohne Überwachung nutzt die härteste Strafe nichts.
Ergo:
Eine Regel ohne Überwachung funktioniert spätestens ab dem Zeitpunkt nicht, ab dem die Menschen merken, dass die Regel mangels Überwachung nur als reine, unverbindliche Bitte aufgestellt wurde.
Das hat meines Erachtens etwas mit Autoritätsverlust zu tun:
Wenn Eltern einem Kind das Rauchen verbieten, wird es in vielen Fällen heimlich qualmen. Merken die Eltern das nicht, wird dem Kind klar, dass es auch mit anderen Verboten lockerer umgehen kann. Lügen, verheimlichen, vertuschen wird immer perfekter.
Dieser Teufelskreis ist nur mit "ich habe verstanden, warum das für mich - mehr als nur - nicht gut ist." und nachfolgender Aufmerksamkeit, Kontrolle, zu durchbrechen. Und durch sanfte Wiederholungen. Wer dies nicht zustande bringt, besitzt per se keine Autorität.
Damit meine ich nicht den Machtmissbrauch, sondern die notwendige, natürliche Autorität. Wie ihr Fehlen gravierende Folgen generiert, kann man sehr gut an dem Kapitel der antiautoritären Erziehung erkennen. Es hätte gereicht, den Machtmissbrauch der Elternhäuser zu beseitigen, aber wie meist, ist das Pendel bei Vielen zu weit geschwungen.
So ähnlich sehe ich das auch im Verkehr. Eine Regel braucht Kontrolle und die Kontrolle muss ihre Dichte stets flexibel an die Dichte der Übertretungen anpassen. Wenn ein Parksünder auf einem Radweg jedes Mal einen Strafzettel erhält, der mit wachsendem Strafmaß* bewehrt ist, braucht der singuläre Verstoß nicht mit extremer Härte geahndet werden: die Kontrolle, die Autorität und ihre Durchsetzung bleibt menschlich akzeptabel.
Wenn heute für jeden Pups drastischere Strafen gefordert werden, so liegt dies letztlich nur am Wissen der mangelnden Kontrolle und der daraus resultierenden Ohnmacht gegenüber den zunehmenden Übertretungen. Dabei wäre Erziehung weit wichtiger und nachhaltiger. Aber das kostet eben Mühe.
Einige Ältere im Forum werden noch wissen, wie es mit prügelnden - also extrem strafenden - (meist) Vätern war: man nahm sie nicht ernst, hielt sie für ungerecht, entwickelte Wut, Ungehorsam oder Kadavergehorsam. In diese böse Falle sollten wir nicht vollends treten. Verkehrstechnisch stecken wir jedenfalls mental schon ein gehöriges Stück drin!
*Gibt es heute schon, weiß ich. Wenn jedoch pro Verstoßer nur ein Verstoß von hundert pro Jahr bemerkt wird, ist dieses Anwachsen eines Strafmaßes wirkungslos.