Nach einigen Jahren Abstinenz war ich am Wochenende auch wieder auf meinem ersten Brevet, dem "Back to the roots" 200er von Karl Weimann. Anreise war bei bestem Wetter ganz gemütlich mit dem Quest auf kleinen Sträßchen und durch's Urdonau- und Altmühltal nach Treuchtlingen, dem Ausweichstartort, weil in Osterdorf gerade das alte Schulhaus saniert wird. Aber das alte Vereinsheim des "Vereins für Leibesübungen" ist ein wirklich schöner Ersatz. Ein Turnsaal mit reichlich Platz für Übernachtungen, Duschen, Toiletten, ein großer Raum zum Zusammensitzen und Ratschen, eine Küche, alles perfekt für ein Brevet. Und in der Nacht nach dem Brevet hört man auch die ICEs nicht mehr, die in 50m Entfernung am Haus vorbeidonnern.
Am Start waren deutlich weniger Teilnehmer, als man das von Nordbayern gewöhnt ist. Anscheinend hat der Verzicht auf die Benutzung eines GPS doch einige abgeschreckt. Sehr schade, denn genau das hatte auch seinen Reiz. Ich hatte es zwar immer nur als Backup dabei, um in Zweifelsfällen schnell den richtigen Weg zu finden. Aber so geht es auch, man verbringt halt unter Umständen mehr Zeit auf Abwegen oder quatscht sich wie ich bei den hilfsbereiten Dorfbewohnern fest.
Karl konnte leider nicht selbst mitfahren, nutzte aber die Gelegenheit für eine angekündigte Geheimkontrolle auf dem Weg. Der Start war um 8:30 Uhr bei schönstem Wetter, es ging die ersten Kilometer recht gemütlich die Landstraße an der Altmühl entlang. Danach war mal kurzzeitig etwas navigatorisches Geschick gefordert. Weil ein Lieferwagen vor dem richtigen Weg stand, fuhren die meisten, mich eingeschlossen erst mal eine Ehrenrunde durch den Campingplatz am Brombachsee. Aber spätestens an der steinernen Echse war klar, ich bin wieder auf dem richtigen Weg. Leider aber habe ich danach das FKK-Schild verpasst und bin beim Versuch, die Route auf der Karte richtig zu deuten (die gab es diesmal sogar als Farbkopie!), dann doch auf dem falschen Weg gelandet. Strafe muss sein und so durfte ich ein wunderschönes 18%iges Sträßchen nach Absberg hochkurbeln. Die heftigste Steigung an diesem Tag und NICHT, ich betone, NICHT von Karl mit in die Route eingebaut.
Danach kamen dann die ganzen Höhenmeter der Tourr. Ein ständiges bergauf und bergab. Mein kleines Kettenblatt kam des öfteren zum Einsatz, das ist es schon gar nicht mehr gewöhnt. Hinter Wolframs-Eschenbach hatte ich dann noch mal einen kapitalen Verfahrer, ich schätze, dass ich da gerade im Geschwindigkeitsrausch bei über 80km/h am Abzweig vorbeigedüst bin. Naja, selbst schuld, nach 60km hatte ich schon zusätzliche 15 Fleißkilometer und etwa 100 Fleißhöhenmeter auf dem Buckel.
Die weitere Fahrt ging ständig bergauf und bergab. Die Hauptstraßen fahren unten im Tal lang, Karl legt seine Strecken nach Möglichkeit sehr verkehrsarm und daher oft und gern quer zu den Tälern. Macht aber auch mit Velomobil nichts. Wenn man weiß, was auf einen zukommt und man eine berggängige Schaltung verbaut hat, kurbelt man sich da genauso hoch, wie mit einem Rennrad. Auf der zweiten Hälfte des Brevets merkte ich dann, dass ich begann, das Feld von hinten her wieder zuzufahren. Am Berg war ich plötzlich gleich schnell wie die Rennradler (zumindest die im hinteren Drittel des Felds), in der Ebene und bergab schneller. Was nicht bedeutet, dass sie mich nicht in der Kontrollstelle wieder überholt hätten. Hier hatte ich es noch nie eilig. Ein wenig die Zehen vertreten, eine Kleinigkeit Essen, mit den anderen ratschen, das gehört für mich einfach dazu. Natürlich könnte ich ohne das das Brevet schneller beenden, aber hätte ich damit Lebensqualität gewonnen?
Jedenfalls merkte ich in der zweiten Hälfte deutlich, dass ich stärker unterwegs war als noch vor ein paar Jahren. Das mag zum einen an den Verbesserungen am Quest liegen. Mit den Powercranks muss ich einfach sauber kurbeln und spare so inzwischen nach jahrelanger Eingewöhnungsphase Kraft ein. Und die Kohlefaserschwinge ist doch um einiges steifer als die alte Aluschwinge und gibt gerade an steilen Anstiegen deutlich mehr Vortrieb. Aber am meisten macht wohl meine kohlenhydratarme Ernährung seit einem halben Jahr aus. Die Fettverbrennung läuft richtig gut, ich falle nicht mehr in Unterzucker und kann prinzipiell endlos fahren, wenn ich entsprechend langsam tue. Damit ich nicht langsam tun muss, habe ich vor dem Brevet kurzzeitig wieder eher kohlenhydratreich gegessen und konnte so auch ordentlich Dampf geben. An den Kontrollstellen wurden die KH auch immer schön nachgeführt, mal war es ein Orangensaft, mal ein Streuselkuchen, mal Schokolade. Alles, was ich im normalen Leben in letzter Zeit verschmähe. Aber hier hat es wirklich super funktioniert. Ich konnte es auch bis zum Ende mit über 2300 Höhenmetern in den Beinen noch richtig krachen lassen (was ich halt so unter Krachen lassen verstehe, andere lachen da drüber...). Diese Ernährungstaktik werde ich nächstes Jahr wieder probieren und spätestens beim 400er und 600er wird sich zeigen, ob das auch auf langen Distanzen gut funktioniert. Ein hoher Fettverbrennungsanteil aus den hauseigenen Reserven für die Grundlast und eine ausreichende KH-Zufuhr um die Leistungsspitzen abzudecken sollten mich auch über die richtig langen Strecken bei Laune halten und den Magen nicht mit zu viel Futter überlasten. Soweit meine Theorie...
Bei der letzten Kontrollstelle fing es dann an zu regnen, aber der Wettergott war mit mir. Auf der langen Bergabstrecke von Windsbach nach Spalt schüttete es teilweise wie aus Kübeln, aber an der heftigen Steigung hinter Spalt war wieder trocken und ich konnte den Deckel verstauen und hatte bergauf eine gute Kühlung. Als ich oben war, war grad schon die nächste Dusche im Anmarsch, aber da war ich ja schon wieder zügig in der Ebene unterwegs.
Was ausgesprochen gut funktioniert hat, auch wenn es vielleicht etwas dämlich aussieht, ist die Zwei-Brillen-Methode. Nachdem seit letztem Jahr meine Arme beim Lesen immer kürzer werden, wird es immer schwieriger, während der Fahrt noch das Roadbook oder die Karte zu lesen. Aber mit normaler Brille als Augenschutz vor Insekten plus einer 5€-Lesebrille auf der Nasenspitze kann ich wunderbar fahren und navigieren. Ich war echt begeistert, wie problemlos das funktionierte. Nur mit Schaummdeckel stört die Lesebrille etwas, aber mit etwas Übung geht auch das.
Zurück im Vereinsheim gabs erstmal eine schöne heiße Dusche, danach zwei Teller von Heidis wunderbarer Gulaschsuppe, dazu kühles Weißbier und gute Gespräche und der Abend war gerettet. Am nächsten Morgen bin ich nach Frühstück, Ratschen und Aufräumen gegen 11 Uhr losgekommen und war erstaunt, wie locker ich noch Gas geben konnte. Das war in früheren Jahren nach einem Brevet nie der Fall gewesen. Heute merke ich dann aber doch etwas Muskelkater in den Schenkeln, aber nach insgesamt etwas über 500km darf das auch sein.
Nächstes Jahr werd ich versuchen, die gesamte Serie in Norbayern mitzufahren und würde mich sehr über weitere Velomobilbeteiligung freuen.
Viele Grüße,
Martin